alle sind herzlich eingeladen, ins Berliner Terzo mondo zu kommen: die das Terzo mondo schon lange kennen, vielleicht weil sie in Berlin in den 70er, 80er oder frühen 90er Jahren studiert haben und abends manchmal dort saßen und zuhörten, was die anderen erzählten oder was der Wirt sang, und die das Terzo mondo noch nicht kennen, die erst recht. Poliander hätte sich nicht träumen lassen, dort selbst etwas vorzutragen, aber jetzt ist es soweit.
Katrin Heinau und Ulrike Gramann lesen in der Reihe SCHWARZE KATZE aus ihren Büchern Wehe (Heinau) und Meetchens Hochzeit (Gramann) am 28. Oktober, 19 Uhr im Terzo mondo, Grolmannstr. 28, 121063 Berlin-Charlottenburg Geht durch zur Hinterzimmer-Bühne – Eintritt frei! Mit Buchverkauf.
Worum es geht, hier in den Worten von Bernd Kebelmann, der die SCHWARZE KATZE zum Leben erweckt hat: Ulrike Gramann, Berlin, mit der Erzählung „Meetchens Hochzeit“ (Dresden: Schumacher Gebler 2020, Zeichnungen Gudrun Trendafilov), aus Frauensicht erzählt, voll Turbulenz und Tücke! Katrin Heinau, Berlin, mit ihrem matriarchalen Roman „Wehe“ (Moloko Print 2024, Collagen von Susanna Lakner); Ein Mädchen erwacht mit Katzenpfote, und es geht durchaus nicht zimperlich zu. Die beiden Mädchen „Meetchen“ und „Manú“ werden in einer turbulenten und gewalttätigen Welt erwachsen. Ihre abenteuerliche Wanderung führt Meetchen in die verkehrte, Manú in die untere Welt. Sie geraten in Mythen, begegnen menschlichen und nicht-menschlichen Wesen und erleben zwischenmenschliche und humanitäre Katastrophen. Nicht jeder hat diese Art von Literatur schon gelesen; umso genauer hören wir zu, umso geheimnisvoller wird uns die phantasievolle Prosa verblüffen, wenn uns die Autorinnen in die mythische Welt entführen, mit auf eine phantastische Reise nehmen; und mit welchem Ziel? Um die Macht der Frauen zu feiern, um doch noch erwachsen zu werden? Wer gibt zu, wie sehr ihn die Märchen noch fesseln, wie viele Geheimnisse er bis heute vor sich selber versteckt?
Danke! Schöner können wir’s auch nicht sagen. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen in der altbekannten Kneipe! Heinau und Gramann
Koordinaten: Terzo mondo, 52° 31′ 0“ N, 13° 18′ 0“ O, Mädchen auf Aventiure.
Die Stadt, in der ich wohne, wurde groß durch die Menschen, die kamen, um hier zu arbeiten. Sie stellten Textilien her, bauten Lokomotiven, Maschinen, elektrische Konsumgüter, arbeiteten in der chemischen Industrie und produzierten Arzneimittel. Fremdsprachige Namen tauchten so tief ein in die Sprache der Stadt, dass die Chodowiecki-Straße im hiesigen Idiom bis heute „Schodowicki-Straße“ gesprochen wird.
In der Stadt, in der ich wohne, arbeiteten und arbeiten bedeutende Wissenschaftler:innen. Stets denke ich dabei zuerst an die Begründer des Fachs, das ich studierte, die Brüder Grimm. Sie gehörten zu den Göttinger Sieben, die gegen die Absetzung der relativ freiheitlichen Verfassung im Land Hannover protestierten und deshalb 1837 aus ihren Professuren entlassen wurden. Jakob Grimm wurde sogar des Landes verwiesen. Sie waren nicht „von hier“. Aber hier arbeiteten die Brüder an einem Werk, das heute eines meiner liebsten Arbeitsmittel ist, dem Wörterbuch.
Als ich in den Westen der Stadt kam, wohnte ich an einer Straße, in der man alle Verkehrsmittel sehen, hören und fühlen konnte, die es hier überhaupt gibt. Zu jeder Tageszeit fuhren Busse an und ab, auf dem Kanal zogen Binnenschiffe mit ihrer Fracht vorbei, nachts erschütterten Güterzüge die Mauern des Hauses, und über dem Haus flogen erstaunlich tief die Flugzeuge zu einem (inzwischen stillgelegten) Flughafen. Das Stadtbild trage ich auch in meiner Lunge: Die Abgase unzähliger privater PKWs und anderer Motorfahrzeuge und der Abrieb ihrer Räder, ein feiner, toxischer Staub, hinterlassen dort Spuren.
Und doch liebe ich das Bild dieser Stadt, das auch und vor allem ein Hörbild ist: Denn neben dem nimmermüden Rauschen des Verkehrs und dem Tatü-Tata der Rettungswagen und dem Brummen von Baumaschinen enthält es auch Amselgesang, das Krächzen des Eichelhähers, den nächtlichen Schrei der Füchsin und den heiseren Ruf der Bussarde. Schritte und Gespräche in der Nachbarwohnung bedeuten: Ich bin nicht allein. Und wann immer ich die Augen schließe und die Ohren öffne in einer der Bahnen, die ich fast täglich benutze, höre ich eine oder mehrere der vielen Sprachen, die in meiner Stadt gesprochen werden. Ich lausche fasziniert. Manche erkenne ich, in wenigen könnte ich antworten.
Ich glaube gern, dass das unruhig bewegte, lebendige, stets etwas zu laute, oft viel zu schmutzige Bild meiner Stadt Menschen Angst machen kann, die vom Lande kommen, vom Sauer-Lande zum Beispiel. Auch ich kam vom Dorf. Doch während es dort schon einsam machte, wenn man statt des Dialekts nur hochdeutsch sprach, macht der Schatz an Wissen und Ausdruck in den vielen Sprachen meiner Stadt mich froh. Noch immer und immer wieder kann ich eine davon lernen oder mich darin verbessern. Das mag ich an der Stadt.
Durch das Bild der Stadt, in der ich wohne, gehen auch Menschen, die kein Obdach haben. Sie bieten oft eine Zeitung an oder bitten um Geld. Das Bild unserer Stadt wird nicht durch ihre Person und ihre Anwesenheit getrübt, sondern dadurch, dass es für sie sehr schwer ist, Hilfe und Ausweg zu finden, auch wenn sie das versuchen. Denn vielen Politiker:innen ist ihre Existenz nichts als lästig. Die herrschende Politik des Sparens macht Wohnungslosen das Leben nicht eben leichter. Wohnen, eines der elementarsten Bedürfnisse des Menschen, ist in unserer Stadt ein knappes Gut und teuer.
In der Stadt leben viele Menschen, die gut arbeiten können, die gern arbeiten wollen und über in unserer Gesellschaft gesuchte Qualifikationen verfügen. Und doch dauert es oft viele Monate, wenn nicht Jahre, ehe ihre Qualifikation anerkannt wird. Das weiß ich auch direkt, nahe, von Freund:nnen, die erst ihrer Qualifikation entsprechend arbeiten durften, als ein Politiker sich persönlich für sie einsetzte. Und doch würden sie selbst niemals auf die Idee kommen, einen hilfesuchenden Menschen unnötig warten zu lassen. Das Helfen ist ihr Beruf.
Meine Stadt ist eine ewige Baustelle. Das hat etwas Symbolisches: immer im Umbruch. Doch es bremst das Leben in der Stadt auch. Denn das sinnreich angelegte System der öffentlichen Verkehrsmittel, eines der besten im Lande, funktioniert nicht richtig, wenn kaputte Wege, Straßen, Brücken, Schienen nie zügig repariert werden, wenn jede für, sagen wir, drei Monate geplante Baustelle auch nach sechs Monaten kein Ende nimmt. Aber selbst das hat etwas Gutes: Wenn die Bauarbeiten ruhen – sie ruhen oft! – sind auch die gesperrten Straßen himmlisch ruhig, so ohne Parksuchverkehr.
Die Stadt, in der ich wohne, wird im Land oft als ein faules, geldverschlingendes Monster beschimpft, ihre Bewohner:innen als anspruchsvoll und politisch überkorrekt. Dabei ist die Stadt mit all ihren Bewohnerinnen und Bewohnern ausweislich des hier erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukts die größte städtische Ökonomie im gesamten deutschsprachigen Raum, die zweitgrößte in der EU. Die wunderbaren kulturellen Institutionen unserer Stadt, die herrliche Philharmonie, die Theater, die großartigen und informativen Museen sind nicht nur Orte der Bildung und der Entspannung für uns, die Bewohner:innen, sondern sie ziehen auch so viele Menschen aus anderen Orten an. So ist der Tourismus zu einem der bedeutendsten Wirtschaftszweige unserer Stadt geworden.
Das Bild der Stadt, in der ich lebe, ist nicht nur bunt, sondern gerade in diesem Moment auch golden, denn es ist eine Stadt der Linden. Mit irgend etwas werfen die Linden in jeder Jahreszeit, mit ihren Früchten, ihren Blüten, ihren Pollen und den Ausscheidungen der sie besiedelnden Blattläuse, zuletzt im Herbst mit Blättern, nachdem sie im Sommer den Bienen die Basis für den feinen Stadthonig gaben. Die Linden sind ein gutes Bild für unsere Stadt. Sie mögen mit all dem, was sie auf die Straße werfen und was sich mit Schmutz, Regenwasser, manchmal auch Eis bisweilen zu einem rutschigen Gemisch verbindet, auch mal lästig sein. Aber sie geben uns Schatten, Freude durch Grün und Gold ihrer Blätter, sie sind Wohnung und Nahrungsquelle vieler Tiere. Ohne Bäume kann es keine Schwammstadt geben, die wir so dringend brauchen. Ich will nicht ohne die Linden leben.
Das Bild der Stadt, in der ich lebe, ist voller Widersprüche. Wir sind bald vier Millionen, wir meckern immer. Und doch lieben wir unsere Stadt, viele von uns lieben sie weit mehr, als wir das Dorf, aus dem wir gekommen sind, je liebten. Und wenn mich wer fragt, was aus der Stadt verbannt werden muss, damit sie schöner, sauberer und gesünder wird: Abgase und Feinstaub, davon hätte ich gern etwas weniger, sogar sehr gern sehr viel weniger. Menschen aber sollen bleiben und miteinander lernen, wie die Stadt, in der wir leben, bewohnbar und liebenswert bleiben und es immer neu werden kann.
Die die Sonne anbeten, stöhnen: Mistwetter. Die den Grundwasserspiegel der Stadt kennen, rufen: Mehr davon! Die Landwirte und Landwirtinnen wissen: Er kommt spät, zu spät. Und doch: Besser spät als nie.
Poliander begrüßt jeden Tropfen. Am 1. August 2025 sind die Blätter der Linden grüner als im Vorjahr zur selben Zeit. Das Gras hinterm Haus ist: grün. Als der Gärtner es schnitt, wusste P.: Die verbleibenden Stümpflein der Pflanzen werden nicht verbrennen, denn es kommt Regen in der Nacht, wenn nicht heute, so morgen. Der milde, durchdringende Regen, Mehr davon!, ruft P., denn unsere Stadt ist auf Sand gebaut, der die Tropfen schlecht halten kann. Sie zu halten, helfen die Wurzeln und Würzelchen der Bäume und ihre Verflechtung mit den unterirdischen Lebewesen. P. spricht ein Gebet zu den Bäumen, hält Ansprache zum Regen und schaut freundlich auf zu den Wolken, aus denen er fällt.
Ah!
Grün:
Frauenmantel
Der Mantel Unserer Lieben Frau Erde, Gaias Mantel, ist meerblau, ist erdbraun und lavaschwarz, blattgrün besonders. So soll es sein.
Koordinaten: 52° 31′ N, 13° 24′ O Persönliche Anmerkung Polianders: Ja, liebe Freundinnen und Freunde, es gibt die politischen Krisen. Doch lösen wir die ökologische Krise nicht, bleibt nichts, das wir sonst lösen können.
heute strömt zum ersten Mal in diesem Jahr Duft von Lindenblüten herein, noch leis. Grün und gelb stehen Blätter und geflügelte Blüten vor dem grauen Vormittagshimmel. Seit ein wenig Regen kam, singen auch die Vögel wieder. So sind wir wohl noch nicht ganz auf den Hund gekommen.
Darum laden wir Sie und euch herzlich ein und heißen alle willkommen:
Wir sind noch nicht auf den Hund gekommen Katja Winkler und Ulrike Gramann lesen
am 18. Juni 2025, 20 Uhr in der Kneipe „Alter Schwede“ Schwedenstr. 11a, 13357 Berlin-Wedding (Nähe U-Bhf. Osloer Str.)
Katja Winkler und Ulrike Gramann freuen sich auf ein Wiedersehen mit allen, die neugierig sind auf Gedichte und Geschichten und gern einen Blick auf unsere Arbeit werfen.
Eintritt frei. Buchverkauf und Luft fürs Gespräch.
Und wenn hier wie überall in der Stadt das Bauhandwerk unter den Lindenbäumen rumpelt, will P. es mit Humor verstehen – solange nur die Linden wachsen, gedeihen und ihre grünen Fähnchen werfen.
Wir wünschen euch und Ihnen allen einen guten Sommer mit Sonne, Wolken, Regen und Wind im richtigen Maß! Poliander und Gramann
Sie sind, ihr seid herzlich eingeladen in die Ausstellung
Kunst am Küchenmöbel
mit Arbeiten von Andrea Freiberg, Reinhold Gottwald, Christine Kriegerowski, Astrid Menze, Gowara Minsa, Anton Schwarzbach, Dorit Trebeljahr, Gisela Weimann, Markus Willeke
und der Lesung
Als Tau auf mich fiel von Ulrike Gramann
Drei Frauen in einer Künstlerinnen-WG in einem alten Haus. Handwerker kommen ins Haus, um die Heizung zu erneuern. Doch die bringen Unordnung in die Produktion des Tages wie in die Süße der Nacht. Kann Zauber helfen? Wer kann zaubern? Und überhaupt, wer erzählt hier? Eine menschliche Stimme?
Wann und wo?
um 17 Uhr im io lux Lehderstraße 119, 13086 Berlin-Weißensee
Alle sind herzlich eingeladen!
Die Erzählung Als Tau auf mich fiel steht im Erzählband Die Unberechenbarkeit des Lebens.
Die Ausstellung im io lux ist bereits vorher geöffnet. Alle Daten zur Ausstellung Kunst am Küchenmöbelhier. Bei der Lesung gibt es die Bücher auch zu kaufen, Kunst sowie die Zeitschrift Prolog -Heft für Zeichnung und Text, ohne die Poliander Dorit Trebeljahr, Anton Schwarzbach und das io lux gar nicht kennengelernt hätte.
Wir sehen es von oben, das Pferd, das durch den Schnee geht. Schritt für Schritt setzt es die Hufe, so entsteht eine enge Spur. Es ist kalt, es ist einsam. Das Pferd geht, begleitet von seinem Schatten, auf seinem eignen, schmalen Weg.
Das Schneeland in den Bergen ist Albanien, nördlicher Teil.
Erst sehen wir das Pferd, später die Menschen. Sie arbeiten ihr ganzes Leben lang sehr schwer. Auch die zarte Greisin, deren Körper so zerbrechlich wirkt mit überaus schmalen Armen, ausgezehrten Wangen, hat ihr Leben lang schwer gearbeitet. Mit elf Jahren sei sie verantwortlich gewesen, für die ganze Familie, und alle hätten die Hand ausgestreckt, damit sie ihnen Essen gebe.
Wann, fragt die Stimme der Filmemacherin, hat sie oder hat wer entschieden, dass sie ihr Leben als Mann leben würde? Als sie ein junges Mädchen war? Nein: Entschieden war es am Tag der Geburt. Der Vater habe mit dem Gewehr in die Luft geschossen, einmal. So wussten alle in der Nachbarschaft: Hier wurde ein Sohn geboren. Drei Schüsse bedeuten eine Eheschließung, ein Schuss bedeutet die Geburt eines Sohns. Nur ein Sohn zählte. Ein Vater, wenn nicht der: ein Bruder, wenn nicht der: ein Sohn war das Familienoberhaupt. Denn ein Mädchen, eine Frau konnte niemals Familienoberhaupt sein, Erbe, Ernährer der Familie. Das ist das Herrschaftsprinzip des Patriarchats.
Der Film wo/men von Kristine Nrecaj und Birthe Templin erzählt von Frauen, die ihr Leben lang als Mann leben, in Albanien. Man nennt sie Burrneshë oder, wenn der bestimmte Artikel gemeint ist, Burrnesha. Burr bedeutet: Mann, neshë (-a) bedeutet: die feminine Endung eines Wortes.
Die sechs im Film wo/men porträtierten Burrneshas haben zu unterschiedlichen Zeiten ihres Lebens begonnen, als Mann zu leben. Das ist eine soziale Rolle, sie basiert auf dem traditionellen Gewohnheitsrecht in einer, der nördlichen, gebirgigen Region des Landes. (Wie oft in manchen Orten Albaniens heute noch Mädchen oder Frauen zu Burrneshas werden, bleibt im Film offen, selten, scheint durch. Doch nicht alle Menschen, die zu Wort kommen, sind alt.)
Die Vornamen der Porträtierten sind: Marta, Sanie, Bedrie, Diana, Valerjana, Gjystina. Für einige von ihnen war es ein von Kindesbeinen an vorgezeichneter Weg, erzwungen durch familiäre Umstände – ein Mann musste im Haus sein. Andere sprechen davon, sich selbst so entschieden zu haben, dass sie als Kinder gern mit den Jungen Fußball spielten und dann „einfach“ als Junge, junger Mann weiterlebten, da habe die Mutter auch nichts machen können. Es bedeute, unabhängig zu sein, von Männern akzeptiert, Zeit auch mit Männern verbringen zu können. Man sieht sie mit Männern zusammen arbeiten, Säcke schleppen, trinken, rauchen, Männergespräche führen, beim Anmessen eines Anzugs, beim Friseur: Einen Männerschnitt bitte!
Denn eine Frau sei niemals frei, eine Frau bleibe immer im Haus, nicht einmal Wasser könne sie holen.
Jede der Burrneshas, deren Alltag der Film wo/men begleitet, hat ihre eigene Geschichte. Auch sie, wie uns alle, kann man nicht in Schubladen stecken, und ihre sehr persönlichen Geschichten eignen sich nicht als Projektionsfläche westlicher Vorstellungen von einer freien Wahl des Geschlechts, in dem ein Mensch die eigene Lebenszeit verbringen möchte. Sie versuchen, wie wir alle (hoffentlich wie wir alle), einen eigenen Weg zu gehen, mehrere sagen es auch. Eine sagt nichts. Sie erzählen nicht, um die Erwartungen des Publikums zu erfüllen: Vorreiter:innen der Queerness sind sie nicht, ihre Entscheidung ist erkennbar nicht durch sexuelle Orientierung motiviert. Im Gegenteil: Eine Burrnesha zu sein, bedeutet traditionell, alles für die Familie zu tun, die Familie zu versorgen, selbst aber ohne Partner:in zu leben und niemals Kinder zu bekommen.
Ob sie ein Mann sei oder eine Frau, darüber rede sie nicht mit den Leuten, sagt eine. Man möge sie anschauen, das genügt.
So individuell die Lebensgeschichten der sechs Burrneshas sind: Die Gründe, warum sie so leben, wie sie es tun, sind sozialer und ökonomischer Natur.
Oh ja, manche erzählen, dass sie bereits als Kinder oder Jugendliche Beschützer von Mädchen waren. Mädchen gingen in der Mitte, die beiden befreundeten jungen Burrneshas hielten sich rechts und links von ihnen. Bedrie, die einen kleinen Bus fährt, der das Zentrum ihres Lebens, ihrer Arbeit und ihrer Unabhängigkeit ist, zeigt, wie sie die Fahrgäste platziert: Männer und Frauen in den Reihen getrennt. In meinem Bus gibt es keine Belästigung von Frauen! Und sie lässt durchblicken, dass sie eine Frau, die sie fährt, notfalls mit der Waffe beschützen würde. Eine, augenscheinlich die jüngste, sagt, es sei einfach viel besser, als Mann zu leben und unabhängig zu sein. Liebe aber sei sinnlos. Da meint sie die Liebe zu einem Mann. Sie lebt allein. Eine andere nennt den Preis: Ja, mit Kindern, das wäre ein anderes Leben.
Soziale und ökonomische Gründe, oh ja, was sonst! Denn das Patriarchat bittet uns nicht.
Dieser Film, in dem sechs Menschen von sich erzählen, in dem sechs Menschen zu sehen sind, deren Körper und Bewegungsmuster zeigen, dass ihr Leben nicht leicht ist, überhaupt nicht leicht, ist sehr schön. Es ist ein Film über schwer arbeitende Menschen und ein Film über eine äußerst patriarchalische Gesellschaft, die diese Besonderheit hervorbrachte, weil eine Frau in ihr keinen Wert hat als den, einen Sohn zu gebären.
Einmal höre ich eine jüngere Stimme sprechen. Sie sagt: Dieser Mensch hier sei für sie immer ihre Hala (Tante) gewesen. Sie habe die Arbeit eines Mannes getan und das Lebens eines Mannes gelebt, aber, sagt die Stimme: mit der Wärme einer Frau. Und ich sehe eine Greisin mit sehr kurz geschnittenen Haaren, mit einem kleinen Mädchen, das ihre Enkelin sein könnte, ihre Urenkelin vielleicht. Sie sitzen am Strand, vertraut, nahe. Und neben dem, was ist, sehe ich auch, was sein kann, wenn Geschlecht nicht entscheidend ist für einen eigenen Weg: warme Zuneigung, Vertrauen und Nähe ohne Hintersinn.
Dann, noch einmal, sehe ich das Pferd. Einsam tritt es seinen Weg.
***
Aktuell: Der Film läuft ab dem 15. Mai 2025 im regulären Programm des Bundesplatz-Kinos in Berlin – Polianders LIeblingskino.
Persönliche Anmerkung: Vielleicht haben Sie schon einmal von Burrneshas gehört oder einen Bericht über sie oder über „geschworene Jungfrauen“ gelesen, gesehen. Wir empfehlen Ihnen den Film auch dann und wärmstens, denn er handelt nicht von einem „Phänomen“, sondern von Menschen, die etwas erzählen, das wir, aller Wahrscheinlichkeit nach, auf diese Art noch nicht erzählt bekommen haben. P. und Gramann
Das neue Jahr begann, und die Nachrichten waren, sie sind schwer auszuhalten. Poliander reiste in der Zeit und stolperte über das zum Allgemeinplatz gewordene Zitat, das teils auf Hegel, teils auf Marx zurückgehen soll: dass Geschichte sich zweimal ereigne, zuerst als Tragödie, dann als Farce. Was, wenn es diesmal gar nicht die Farce wäre?
In P.s Zeitreisen geht es um Literatur, Kunst, Film, Musik, um Natur und Kultur, alles, was das Herz erhebt und den Geist öffnet, was das Zusammensein miteinander so lebendig macht und dem Trotz alledem! die Zuversicht hinzufügt, dass etwas gelingen kann. Und auch von alldem gab es in diesen letzten Wochen und Monaten nicht wenig: Musik im Boulez-Saal, den ein Architekt klug in das frühere Magazin der Staatsoper hineindachte; P. las den Diskurs der Philosophie von Michel Foucault, der gerade, auch und womöglich sogar vor allem von Literatur handelt; den Besuch im Lübecker St.-Annen-Quartier, in dem vieles, aber insbesondere eine große Sammlung spätmittelalterlicher Kunst zu sehen ist; und P. sah The Seed of the Sacred Fig, einen Film über die Methoden der Diktatoren und über weiblichen Mut.
P. hatte all die Zeit viel Arbeit – doch wer hätte die nicht?
Ob es P. gefällt oder nicht, es heißt, nicht kleinmütig zu sein. Wir bleiben unterwegs, und falls sich wer fragt, Wo denn, und wie kommt ihr da hin? Das tun wir mit dem Herzen als Ausguck und dem Geist als Fahrzeug. Kommen Sie!
Ein Papierstapel liegt noch auf der Kommode. P. ist reich beschenkt von handschriftlichen Briefen und bunten Karten, die dem Jahr gute Wünsche mitgeben. In jedem Brief liest P. auch von Sorgen, die dem gerade zur Welt gekommenen Jahr in Herz, Hirn und Hosentaschen stecken.