Regen bringt Segen. P. wuchs auf dem Dorf auf und lernte von Kindesbeinen, dass es ohne Regen nicht geht.
An diesem Wandertag zum Beispiel hatte P. die nass quatschenden Schuhe längst ausgezogen und trug sie in der Hand während der Annäherung ans Herkunftsdorf. Das Ziel der Schritte war der schmale Weg aus Sandsteinplatten, die zum Haus führten, rechts und links glänzten nass die Kieselsteine, weiß und orange gefleckt, im Ohr hatte P. das Platschen der Füße im nassen Wanderweglehm auf dem Grund der Pfützen. Dann dieses körnige Gefühl unter den Sohlen vom Dorfstraßenasphalt. Und so weiter. Die Erwachsenen im Haus begrüßten das Gewitter, denn Wasser war kostbar, und sei’s weil es getragen werden musste. Auch P. hat oft Gießkannen getragen, zum Gemüse hin und manchmal den Blumen, doch stets ging das Essbare vor.
In der Stadt, wo P. jetzt wohnt, ist Regen für viele zuerst ein Ärgernis, “schlechtes Wetter”. Doch auch diese Leute wollen im Sommer gern unter Kastanien und Linden sitzen, nach der Arbeit, beim Wein.
Für andere ist Regen längst ein Politikum. Seit das Klima sich verändert – seit Jahrzehnten, und ebenfalls nicht erst seit gestern wissen wir von den Grenzen des Wachstums – also seit das Klima sich krisenhaft verändert, ist das Wetter tatsächlich politisch geworden. Regen bringt Segen, und wer’s nicht wüsste, muss nur ins Land Brandenburg schauen, wo die Wälder in beinahe jedem Sommer brennen. Der Rauch ist bis tief ins Herz der Stadt zu spüren, er reizt die Lungen der Stadt und der Menschen, die sie bewohnen, und mit jedem heißen Sommer wächst die Sorge, an der Klimakrise zu ersticken.
Auch darum schrieb der Berliner Verband der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im letzten Sommer den REGEN als Thema für den herbstlichen Lesemarathon aus. Gefragt waren kurze Beiträge, lyrische, erzählende, außer dem Thema war alles freigestellt. Zusätzliche Brisanz erhielt das Literaturprojekt durch den Vorschlag, die eigene Arbeit mit einem Text zu ergänzen, der durch ein “KI”-Programm generiert werden sollte. Einige taten das auch, und es zeitigte erwartbare Ergebnisse, die gleichwohl ein Argument in der Diskussion um die Möglichkeiten, Grenzen und Risiken von artificial intelligence sein können.
Aus den Einsendungen wurde nicht nur ein kurzweiliger langer Leseabend, sondern auch eine Anthologie, die jetzt im Hirnkost Verlag Berlin erschienen ist. Regen-Texte enthält sie viele, dazu einige Prompts für ein KI-Programm und Ergebnisse der KI-gestützten Texterstellung. (Hier passt’s mal, das schlimme Wort “Erstellung”.)
Aber sehen Sie selbst:
Was P. noch mitteilt:
1. Ulrike Gramann ist mit “Regen und Zorn”, einem lyrischen Text in der Anthologie vertreten.
2. Einen Prompt für das KI-Programm hat sie nicht geschrieben und demzufolge auch keinen künstlichen Text von ChatGPT generieren lassen.
Und: Es ist ein schönes Buch entstanden, mit farbigen Seiten, die zwischen die Beiträge gebunden sind, Lesebändchen und einem Umschlag, der gut in der Hand liegt. Über die Texte, die Inhalte, die Form rät P., bilden Sie sich selbst eine Meinung. Lesen!
Koordinaten: Regen in Zeiten der Klimakrise oder Kann ChatGPT Literatur? Herausgegeben vom VS Berlin. Konzipiert, zusammengestellt und bearbeitet von Martina Wildner, Edith Ottschofski und Henning Kreitel. Hirnkost Verlag Berlin 2024.