Polianders Zeitreisen

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Was wir am letzten und am ersten Tag von Jahren dachten

02.01.2013 · poliander

Kommt entgegen

Kommt entgegen

Am letzten Tag des Jahres ging Poliander von A nach A, genau gesagt: von Satemin über die Straße zu einer Mühle und übers Feld und über den Totenweg und wieder nach Satemin, und in Satemin trank P. einen Apfelpunsch, der Saft und Frucht und Wein und Schnaps in einem war. FreundInnen hatten P. und den Gefährten ins W.land eingeladen hatten und zu dieser kleinen Wanderung, bei der ein älterer Herr die Aberglaubgeschichten der Wenden berichtete, von den Toten, die durchs Unterholz und den Schlamm getragen wurden, damit sie den Weg zurück ins Dorf nicht fänden. Es muss wahr sein, dachte Poliander, und hier war auch der Beweis: Der Schlamm ist noch da und klebt bis heute an P.s Stiefeln.

Am letzten Tag des Jahres 2012 nahmen wir eine Tramperin mit, an deren Rucksack ein verbeulter blankgeputzter Topf hing und die so gut von ihrem Studium (etwas mit Entwicklungspolitik) erzählte, dass P. ganz wehmütig wurde und sie am liebsten mitgenommen und den ganzen Abend lang ausgefragt hätte. Aber wir ließen sie etliche Kilometer weiter an einer Haltestelle aussteigen, wo sie gewiss bald das richtige Auto finden würde, das sie an ihr Ziel brächte, zu einer fabelhaften Fete, wie jede wackere Tramperin sie verdient hat, die das Herz der Leute berührt, die sie ein winziges Stück ihres Wegs begleiten. Und wieviel wir einst selbst getrampt sind!

Am Abend tranken wir ein paar Gläser, ein Leuchtkörper flog in den Himmel.

Am ersten Tag des neuen Jahres kamen P. und die FreundInnen, wie es sich gehört, spät aus den Betten und langweilten sich mit Anmut und der eine zapfte schon ein Bierchen, während die anderen noch große Schlucke Tee und salzige Bissen nahmen. Short messages trafen ein und wurden verschickt. Und als der Abend kam, stiegen wir in die Automobile und fuhren in die kleine einst mächtige Stadt an der Ilmenau, die sagenhafterweise nach dem Mond benannt sein soll und sachlicherweise soll sie’s nicht, und gingen im Regen ein paar Gassen weit. So müde war die kleine Stadt, stumm und stolz und stand wie vor Jahrhunderten, sieht man ab von all der Elektrizität und benzingetriebener Geschäftigkeit, welch letztere aber schwieg diesen Abend lang. Ein Gastwirt goss das Malzbier, das Poliander trinken wollte, aufs Hemd eines andern Gasts, brachte ein neues, vergaß den Apfelsaft und vergaß, dass Polianders Gefährtin keinen Speck wollte, und niemand wollte so recht sauer werden vor all der Müdigkeit, die aus dem alten Jahr hereingeschwappt war. Luftballons trieben über die nasse Straße.

Aber als wir schließlich die Autos abstellten an dem kleinen Haus im W.land, schien doch der Mond, und Orion, großer Wagen und Himmels-W schauten klar aus winterlicher Sternenfülle. Ja doch, es war hell, aber nicht von Lampenlicht. Ach, und die Pleiaden!

Am zweiten Tag des neuen Jahres dann fuhren P. und Gefährte mit einem Metronom, das fahren kann, ferner mit ICE und sonstigen Zügen an ihre Orte zurück, und da war es voll und leer und pünktlich und dunkel – aber das ist alles schon die Geschichte vom neuen Jahr. Das neue Jahr: Eine Lok kommt durch Nebel, fährt durch den Bahnhof und weiter dann, wohin?

Koordinaten: 2012, 2013, 52° 57′ 23” N, 11° 5′ 44” O, Dampflok im Bahnhof Berlin Lichterfelde West im Dezember 2012, Foto: Ulrike Gramann. Pleiaden.

Begegnung
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