Polianders Zeitreisen

Polianders Zeitreisen header image 1


Die Strümpfe der Salier

04.07.2011 · poliander

Heinrich IV. übergibt Heinrich V. die Krönungsinsignien

Heinrich IV. übergibt Heinrich V. die Krönungsinsignien

Auf dem Rhein schaukelt die “Karlsruhe”.  Oben im Park hinterm Dom drehen Feuerrädchen in der Luft. Parkplätze sind überfüllt. Der Gefährte fragt, wie lange die Fahrt übern Rhein geht, von Speyer nach Karlsruhe. Drei Stunden? Er glaubt’s ja nicht.  Drei Stunden haben wir gerade im Historischen Museum der Pfalz verbracht, nicht gerechnet die Kaffeepause im schönen Innenhof. Und wir wären noch nicht gegangen, wäre nicht so ein schöner Tag, draußen, in Speyer, am Rhein.

Aus drei Gründen hat Speyer ein Salier-Jahr ausgerufen: Vor 950 Jahren wurde der Dom geweiht, dessen Bau der salische König und spätere Kaiser Konrad II. im Jahr 1025 begonnen hatte. Vor 900 Jahren wurde Heinrich V. zum Kaiser gekrönt; im gleichen Jahr verlieh er den Einwohnern der Stadt Speyer bedeutende Privilegien, die sie von Steuern und Abgaben befreiten und Speyer wirtschaftlich stark machten. Das Pfälzer Historische Museum zeigt von den Saliern, was es hat und leihen kann. Was es zeigt, überrascht nicht, ist aber, wenn man so Mittelalter-Ausstellungen kennt, überraschend differenziert.

Wir spielen in einen Touchscreen ein, was wir wissen, bis der  Automat die Botschaft ausspuckt: „Sie wären ein guter mittelalterlicher Herrscher gewesen“, Dämpfer folgt: „Für die meisten Menschen, die in Ihrem Mittelalter lebten, wäre es jedoch eine ziemlich finstere Zeit gewesen.“ Nicht ganz so subtil grüßt ZDF-Anchorman Claus Kleber herüber, der, digitalisiert, vor einem Historiengemälde die Ereignisse des Aprils 1111 schildert, als wär’s gestern gewesen, dass Heinrich V. den Papst gefangen nahm, um seine Krönung zum Kaiser zu erzwingen. Das Unerhörte gleicht dem Staatsstreich von nebenan, gleich hier: in der Welt. Die Mächtigen, Kaiser und Papst, verbissen sich an der Frage der Investitur der Bischöfe in ihr Amt. Eine Formalität war das nicht, Bischöfe waren mächtige weltliche Herrscher. Was Heinrich V. durch die Festsetzung des Papstes Paschalis II. erzwang, die Krönung, bezahlte er mit dem Kompromiss. Zunächst verlieh er den Bischöfen noch Ring und Stab, freilich nachträglich, als Bestätigung ihrer Einsetzung. 1119 kehrte sich die Sache ganz: Die Kirche verlieh Ring und Stab, der König durfte die Würdenträger mit den Regalien belehnen.  Hieß, er gab ihnen die Mittel, die Macht, die die Kirche ihnen verlieh, auch durchzusetzen.

Und dann breitet das Museum den ganzen Zauber dessen aus, was wir heute das Mittelalter heißen, Handschriften, Spolien, Haushaltsgerät wie Scheren und Gefäße, Zeitvertreib wie Spielsteine und Mühlebrett, mönchische Regeln, unter denen leider nicht die wichtigsten, sondern die kuriosesten ausgewählt wurden. Doch selbst das funktioniert, denn wenn wir erfahren, welche Zeichen die Mönche untereinander beispielsweise für das Wort Brot benutzten, erfahren wir zugleich: Sie hatten zu schweigen. Im Museumskeller aber finden wir nicht nur des Kaisers letzte Kleider, sondern auch seine besten Strümpfe, seinen feinsten Mantel und die schönste Haube. Poliander verliebt sich gleich in den säuberlich nachgenähten Strumpf aus glänzendem Stoff – weites Bein und spitzer Fuß. Solche Strümpfe tragen die Museumskönige bis heute. Von den Fußlappen der Armen blieb nichts, von ihren Barfüßen ein Wirbel in der Luft draußen vorm Dom.

Gramanns Ausstellungskritik selber lesen: Tageszeitung ND vom 4. Juli 2011 sowie hier Von Steuerlast befreit

Koordinaten: 10. April bis 30. Oktober 2011.
Vermerk: Die oben links abgebildete Handschrift befindet sich in der Staatsbibliothek zu Berlin.
Pressefoto: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz via Historisches Museum der Pfalz Speyer.

Reisebrief
· ·