26 Mitarbeiter hat das Wasser- und Schiffahrtsamt Tönning in seiner Außenstelle Amrum. Aber einen großen Seezeichenhafen. Seezeichen sind, was normale Landeier wie Poliander und ich als “Bojen” bezeichnen. Zum Glück halten wir unsere Zungen im Zaum. Denn “Boje”, spricht Herr Stöck, wäre grundfalsch und eine Beleidigung für jedes schwimmende Schiffahrtszeichen. “Alles, was in der Schiffahrt den Weg weist, ist eine Tonne.” Bojen hingegen, er winkt ab. Wir schauen später nach, hier. Herr Wolfgang Stöck herrscht über mehrere tausend Seezeichen, die liegen in den Fahrwassern vom Lister Tief bis nach Hamburg, außerdem über zahlreiche Leuchttürme und Leuchtfeuer. Der Herr Ramsauer von der CSU, sagt Herr Stöck, “der kennt uns hier gar nicht”, und der will sie einsparen, oder jedenfalls die Hälfte von ihnen, 14.500 Mitarbeitern beim Wasser- und Schiffahrtsamt. Denn Bayern liegt nun mal nicht am Meer. Und die ungeheure Lust des Meeres, zu toben und in tödlichen Orgasmen Land zu Meeresgrund zu machen, Tanker zu brechen und Schiffahrer zu schlucken, die ist in Bayern großenteils unbekannt. (Das hat jetzt nicht der Herr Stöck gesagt, sondern Poliander. Stimmt trotzdem.) Schon in Berlin wird man ja ausgelacht, wenn man erwähnt, dass die Nordsee ein Randmeer des Atlantiks ist, “Atlantik, sehr witzig, haha.” Jedenfalls im Seezeichenhafen von Steenodde auf Amrum könnten sie mit der Hälfte von 26 nicht mal die Schiffe besetzen. Und die müssen immer besetzt sein, zum Beispiel der Tonnenleger. Der heißt nach Johann Georg Repsold, der war ein Feinmechaniker und Vermessungstechniker, wir wir später nachschauen, Mathemath könnte man sagen, jedenfalls ein echter Fachmann. Nicht wie der, Sie wissen schon. Also der Tonnenleger, der hat einiges zu legen an Tonnen, vor allem: immer wieder. Denn wenn eine Tonne erst mal liegt, im Wasser nämlich, da kommen zuerst die Seepocken, kleine Tiere, die gerne in Gesellschaft leben, in großer Gesellschaft, und am liebsten auf allem, was so im Wattenmeer steht und liegt, und dort bilden sie eine Kalkpocke neben der anderen, dicht an dicht. “Wenn wir im Februar eine Tonne auslegen, ist sie im Juli voll.” Und nein, solche Anstriche, wie ein Tourist von der Ostsee sie empfiehlt, die helfen in der Nordsee nun mal nicht. Das haben sie getestet, sagt Herr Stöck, genüsslich: “Das waren sozusagen die Lieblingstonnen der Seepocken.” Tja. Und da haben sie nun den einen Tonnenleger, und der legt die Tonnen vom Lister Tief bis Hamburg, und was man in Bayern nicht weiß: Von Steenodde bis Hamburg dauert die Fahrt bummelich vierzehneinhalb Stunden, “wenn die Tide günstig ist.” Und natürlich haben die 26 Leute nicht bloß die pockenbesetzten Tonnen auszutauschen. Sondern zum Beispiel die Ketten, die jede schwimmende Tonne mit einem Stein verbinden, und zwar nicht einfach so, nein, die gehen im Hahnepot zum Schäkel und vom Schäkel zum Stein, und die sind zweieinhalb mal so lang wie das Wasser tief ist, denn “wenn der Eckeneckepenn mit seiner Frau Rahn Zoff hat, da gehen die Wellen hoch.”
Nein, Poliander, wir scannen hier nicht die Zeichnung aus unserem Notizbuch!, wir haben uns für das Wort entschieden.
Also Eckeneckepenn (ja, ihr Leserinnen von Theodor Storm, in der Nordsee ist der kein Feuergeist) und Rahn, die sind noch ein bisschen wilder als der Fischhändler Verleihnix und seine Frau Yellow Submarine, die lassen die Wellen ordentlich schlagen. Nach anderthalb Jahren ist die Kette durch. Oder der Stein abgetrieben, obwohl der bummelich fünftausend Kilo hat. Und was das für die Schiffahrt bedeutet, können Sie sich ja denken. Wenn nicht, lesen Sie nach (Polianders Empfehlung). Die meisten Schiffsstrandungen überhaupt gab es auf Amrum Bank. Die Amrumer früherer Jahrhunderte hatten sich drauf spezialisiert, nicht, wie böse Zungen behaupten, auf das Stranden und Strandenlassen mit Hilfe falscher Feuer, sondern aufs Fixdasein und Retten, was zu retten war. Die Ladung. Die Besatzung aber auch. Und je mehr gute Seezeichen und Leitfeuer und Leuchtfeuer, desto weniger Strandungen. Deswegen haben die Steenodder auch die Pricken und Stangen unter sich, diese immer etwas schief stehenden Stämmchen, bei deren Anblick sich das Landei fragt, ob es wirklich nötig war, minderjährige Birkenwäldchen abzuschlagen, um den Schiffen zu zeigen, wo’s lang geht. Wo man doch was schnurgerades Industrielles dafür – nein, eben nicht. Denn die krumme Pricke sieht man gut. Jedenfalls besser. Also, es gibt 1.800 Stangen hier, und in einer Niedrigwassertide setzt eine Mannschaft, die gut gefrühstückt hat, ungefähr 35 Stück. Und eben die Tonnen, immer eine rote, eine grüne. Nur oben am Lister Tief, das ist nördlich von Sylt, der abgenutzten Nachbarinsel von Amrum, da legen die Amrumer nur die grünen Tonnen, und die Dänen legen die roten, seit Versailles ist das so. Alle zehn Jahre werden die Tonnen bereist, von den Dänen und den Deutschen, denn dort ist die Grenze, und alles muss seine Ordnung haben. Obwohl das Lister Tief wandert, das die Grenze ist. “Pantha rhei”, nickt Poliander voll Verständnis: Das Meer kennt keine nationalen Rücksichten.
An dieser Stelle schwächelte ich. Aber Poliander Unentwegt stand und machte ein Foto nach dem andren. Und Herr Stöck zeigte, wie man sich Steuerbord und Backbord merkt, das tat er auf so unnachahmliche Weise, dass wir hier nicht verraten, wie. Und ganz zu schweigen von der belebten Demonstration von Ansteuerungstonne, grüner Spitztonne (mit ungerader Zahl) und roter Backbordtonne (mit gerader Zahl), ganz wie sie dem Schiffer bei Einfahrt in den Hafen begegnen. Das “Meer ist das Schönste”, flüsterte Poliander am Abend. Aber ich deutete nach oben, wo Ursa Maior direkt über uns leuchtete, und Orion, der Jäger, sich am Frühlingshimmel schon bei Einbruch der Nacht gegen Westen neigte. Gegen Westen, hin zum Meer. “Das Schönste am Meer”, sprach Poliander da, “ist der Hafen.” Winter adé, winkte ich Orion zu. Das Feuer des Leuchtturms strich über Meer und Insel.
Koordinaten: 54° 39′ 11” N, 8° 21′ 18” O Seezeichen
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