Polianders Zeitreisen

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Im Feuchten

24.04.2009 · poliander

Schloss Fuerstenau

Schloss Fuerstenau

Es muss nur alt sein, da wollen wir hin. Es muss nur eine Frau sagen (die wohnt da), sagen muss sie nur, dass der Park den Namen nicht verdient. Der Fürst – denn es ist ein Fürst, der das gewesene Wasserschloss bewohnt – vernachlässige den Schlossgarten bis zur Sträflichkeit. Nichts tut der, sagt die Frau, als Naturschutzschilder aufzustellen.

Da wollen wir hin. Weil Sonntag ist und der Durchgang vom Hof geschlossen, muss, wer zu Fuß geht, erst einmal den Parkplatz finden. Sonntags geht es über den Parkplatz zum Park. Der Parkplatz ist voll, der Park ist leer, gelbgraue Weite, hohes Gras vom letzten Jahr. Und direkt daneben der tiefe Schatten, unter den Schuhen quatscht das Feuchte von gestern nacht. Noch zwei Schritte, da stehen wir, wo’s grün ist und dämmert, Lamellen aus Schatten, Lamellen aus Licht, da flüstert der Mümling, ein Wasser, Fluss nicht, Bach nicht. Und hinter uns das Schloss, windschief, riesig, bewohnt und feucht. So lange scheint keine Sonne, dass sie diesen Geruch austrocknete, den Geruch nach Lebendigem, den Geschmack nach Totem, Phantasien, schwankende, rasende Eifersucht, Melancholie des Täters, die in Musik mündet, gräßliche Taten, himmlische Madrigale… Gesualdo. Fang dich ein, krieg dich ein, das ist Hessen, wo der Mümling murmelt, der Fürst den Park zu seiner Wunderkammer macht. Grobnähtig Geschweißtes verrostet im Wald, übers Wasser schwankt ein Wesen heran, halb Mensch, halb Paddelboot, über steinige Stellen mit kleinem Risiko. Wir winken nicht, wir schreiben nicht mal die Schuhe ab, wir gehen weiter bis zum Altenheim und bis zum Ort, kein abgrundtiefen Madrigale gellen durchs Herz, Sonntagsstille, Sonntagsgeruch, bedenkenlos verschwendete Stunden. Kein Abgrund gähnt so, keine Moral ist so doppelt und dreifach wie die in jenem Dorf, aus dem du selbst gekommen bist. Meide die Straße, geh im Feuchten zurück, finde den Schlosshof, den unbestellten Garten höchstwahrscheinlich harmloser Leute, übersieh nicht die Schale mit dem busenförmigen Wasserspeier in der Mitte, die Durchblicke zum Park wie in eine ferne Menagerie.

Und dann lehnen sie unter dem himmelhohen Bogen: sie, die Sandsteinschöne mit dem offen stehenden Mund, er, der Bewaffnete, dem einer die Nase aus dem Gesicht schlug, eine Neige Grausamkeit, ein Bröckchen Melancholie. Und über ihnen, am Rand der ersten Himmelsschale, bläst ein dickschenkliger Engel die Bombarde oder was. Ach, der Park, der verdient den Namen.

Koordinaten: Michelstadt, Ortsteil Steinbach, fehlende Zeitachse

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