Polianders Zeitreisen

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Einhards Baustelle

23.04.2009 · poliander

Basilika fliegt nicht.

Überall wurden Postkarten verkauft, die ein Kirchlein zeigten, ordentlich und aus rotem Sandstein, es sah gar nicht so alt aus, es sah aus wie ein Modell oder ein etwas ernsthafteres Spielzeug, aber eins, das in einer Modelleisenbahnanlage Platz fände. Und auch der Ortsname klang nach Eisenbahnmodell: Steinbach in Michelstadt, nicht michel wie deutscher Michel, michel wie michlinstat, und das heißt: großer Ort.

Beinahe hätten wir den Wegweiser „Einhards Basilika“ übersehen, er wies uns von der Einhardstraße ins Private, ein Gartenzaun, ein Tor, Eintritt ein Euro fünfzig. Kasse: geschlossen. Gradaus ging der Blick, wurde gefangen von einer Baustelle, einem fragilen, riesenhaften Gerüst, Bauschuttcontainern voll Schotter, in denen Kleingehölze siedelten. Ein Wellblechdach schwebte über der Kirche, die man hinterm Gestrüpp aus Gerüststangen mehr ahnte als sah. Der Wellblechflügel flog nicht; breite Gurte, viele, fesselten ihn an die Schuttcontainer. Deshalb also. Gras und Bänke, die Frauen, wie sie da saßen, saßen da der Sonne wegen. Auf dem Dorf wünscht man immer einen Guten Tag. Das Portal war ohne Tür, in die Halle schien Wetter, über gestampften Boden staubte der Lehm. Aus Putzresten griff eine gemalte Hand. In der Sakristei stand ein junger Mann, aus Japan dachten wir, und schrieb lehrhafte Texte von den Aufstellern ab. Seine frierende Freundin verabschiedete sich nach draußen, eine Rentnergruppe kam, das Licht ging aus. Ich ging ein paar Schritte in die Halle zurück, eine Lichtschranke sprang an, die Rentner bedankten sich, doch ehe sie zu lesen begannen, entsannen sie sich eines Termins und eilten weg.

Einhard war nicht hier, der gelehrte Reliquiendieb. 827 soll die Basilika fertig gewesen sein, da zog Ratleik, sein Freund, nach Rom, Reliquien besorgen. Wie er das Heiligengrab eröffnete, wie er die Gebeine zweier Heiliger, nicht nur des einen, fand, wie er den einen stahl. Wie Ratleik nach Tagen wiederkam zum Grab, bebend, auch den zweiten zu stehlen. Denn musste der nicht den Gefährten im Tode vermissen, mit dem er fünfhundert Jahre das Grab geteilt hatte? Da ließ sich die Grabplatte leicht heben, denn der Heilige half mit, so Ratleik sein Einverständnis demonstrierend beim Bubenstück. Erst jenseits der Alpen trug man das Märtyrergebein offen, Leute staunten, dann die Ankunft der Heiligen in Michelstadt. Nicht ihr kleinstes Wunder, ließen die Heiligen Einhard und seine gottvollen Männer im Traum wissen, dass ihres Bleibens nicht sei. Ruhe wollten sie finden, doch nicht in Michel-, sondern in Seligenstadt. So ging Einhard, der große Chronist des großen Karl, ging hin und baute auch in Seligenstadt. Seine Basilika blieb zurück, verschont von den Neuerungen, die der heilige Tourismus schon im Mittelalter mit sich brachte, alte Steine, alte Ziegel, jahrhundertlang Sanierungsprojekt, jetzt wieder. Wir standen in der Halle herum und rätselten, welche Steine welcher Zeit entstammten.

Draußen vorm Portal wehte es frisch, ging es ein paar stolpernde Schritte hinab in die Krypta. Man sah, wo die Sarkophage standen, die Altarnische leer, Sonne fing sich in der Plexiglasscheibe, mit der wohl Getier ausgesperrt wird, hier war nichts, hier war etwas, ein Hauch, ein Luftzug. Nein, sagte ich: Hier machst du kein Foto .

Koordinaten: Einhard, Michelstadt, die 20er Jahre des 9. Jahrhunderts

Ausgrabung
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