Polianders Zeitreisen

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Weltraumflug im Erzgebirge

22.09.2010 · poliander

Die Taube auf dem Dach

Bild: Defa-Spektrum

1973. Zuerst fliegen Kosmonauten. Sie schweben in der Weltraumrakete auf uns zu, von uns weg, einer drückt einen großen, eckigen Behälter an seinen Bauch.

Die ewige Baustelle DDR: Nichts lag 1973 näher, als eine Filmhandlung auf die Baustelle zu verlegen. (2010 sackt die archäologische Schicht DDR bereits unter den drübergebauten Schichten zusammen.)
Daniel: Im Zeitalter des Weltraumflugs will er keinen Dreck schippen. Dreck kann er schippen oder gehn, sagt die Bauleiterin. Daniel bezieht das Arbeiterwohnheim und hängt ein Bild vom Kosmos neben die Sehnsuchtskinderbilder Kerims, des Palästinensers.  Beim Betriebsvergnügen stört Daniel den Spaß, später lernt er, den Kran zu fahren, ein Ding, das sich zur Arbeit eignet wie zum Absturz.
Linda Hinrichs: Bauleiterin, sorgt, dass Material da ist.  Linda hat keine Angst hat keine Angst hat keine Angst. Wenn es sein muss, lässt sie sich von dem, der Balken hat, auch ans Bein fassen, und verspricht die Lieferung von Gehwegplatten, eine coole Vertreterin der Tauschwirtschaft. Das hat sie sich nicht ausgesucht. Den Mann sucht sie sich aus. Die Männer.
Lindas Sekretärin: Ihre Chefin macht das.
Erika: Die kann den Kran schon fahren.  Beim Frühstück liest sie Kontaktanzeigen. Vor.
Das minderjährige Paar: Er will nicht bei seiner Ärztin-Mutter leben und lernen, sondern arbeiten, darum gefällt er ihr, auch wenn sie mit Bestimmtheit das Fenster schließen kann. Auf der Bank: Philemon und Baucis als Kinder.
Böwe: Hat schon überall gearbeitet. Böwe und Daniel sind Lindas Männer.

Die Taube auf dem Dach: Das ist der Titel, der sieht aus, als hätt ihn wer im Nachhinein gefunden. Lieber die Taube auf dem Dach als den Spatz in der Hand.  Das dachten die, die dableiben wollten. Und die Regisseurin, Drehbuchautorin, ihre eigne Assistentin und so weiter, Iris Gusner, zeigt ihre Leute, die mit Steinen umgehn, in der Glaskugelfabrik. War das denn wirklich so? So auch. Und das wird so erzählt, dass du denkst: Ja, so war’s. Und dass du dich immer so fremd fühlst, weil es doch nicht sein kann, dass es war wie im Film. Wie in diesem Film schon, nur dass es sich anfühlte wie wirklich, nur dass es wirklich war. “Die Taube auf dem Dach” sehen ist wie schweben. Der Ort, in dem wir schweben, ist der Weltenraum. Und da gibt es auch Stellen zum Lachen, an diesem Ort, in diesem Film.

Der Film hat eigene, verzweifelt unheimliche Wege: 1973 nicht zur Aufführung freigegeben. Wegen Angst vor dem Film nicht archiviert, sondern vernichtet. Auf welche Weise das Filmmaterial zerstört wurde, scheint nicht mehr bekannt zu sein. Iris Gusner arbeitet weiter. Die Magie des Zufalls konserviert eine Arbeitskopie. Iris Gusner entschließt sich, in den Westen zu gehen. Raumzeit wechselt in Echtzeit. Der Kameramann, Roland Gräf, gräbt bei der Restaurierung anderer verbotener Filme (und das war 1989/1990) in einer Ecke des Arbeitsraums, in einer tieferen archäologischen Schicht. Er findet “Die Taube auf dem Dach”. Schichten haben sich gelöst: Von dem farbigen Material lässt sich nur schwarzweiß ein Negativ machen. 1990 wird “Die Taube auf dem Dach” zweimal aufgeführt. Das Material verschwindet erneut. 2009 erneute Epiphanie.

Geht gleich hin, um das Schicksal des Films ist es nicht geheuer.

Koordinaten: Fakten, Programm des Babylons in Berlin-Mitte, weitere Spieltermine.

Ausgrabung
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