Etwas sagen muss P., denn nichts sagen, das geht nicht auf Dauer. P. im Zweifel: was sagen?
Das war einfach damals im Osten, denkt P.: wir waren einfach alle dagegen. Aber wir waren gar nicht alle dagegen. Sondern in dieses Wir schlossen wir einfach nicht alle ein, sondern nur uns, die wir dagegen waren. Und als es zu Ende gegangen war, waren wir schon bald nicht mehr wir, sondern ich, ich, ich und ich, wir alle waren: jeder für sich.
P. versteht den Satz nicht: “Wir sind am 24. Februar 2022 in einer anderen Welt aufgewacht.” Sondern, meint P., wir sind in der Welt aufgewacht, in der 1972 die Studie des Club of Rome erschien, Die Grenzen des Wachstums. Sie sind erreicht. Und in dieser Welt sind wir auch am 24. Februar 2022 aufgewacht, in der Welt, in der das heute geschieht, nicht irgendwann in zwanzig, dreißig, hundert Jahren.
Es ist unser Problem, bald unser einziges. Jeder Tag jedes Krieges macht es schlimmer, nur schlimmer. Jeden Tag jedes Krieges müssen wir in Menschenleben rechnen, in Zerstörungen, Ressourcen, die fehlen werden. Und das ist über alle Kriege zu sagen, die seit Jahren, Jahrhunderten geschehen, in geografischer Nähe oder vermeintlich weit entfernt. Und das relativiert nichts.
Und zugleich ist uns dieser Frühling gegeben, wie jeder, und diesmal, wie so oft in den letzten Jahren, zu trocken, wenigstens sinkt nachts noch die Temperatur. Nein, P. kippt nicht ins Romantische. Die Zeit, in der es unpolitisch hätte sein können, vom Wetter zu reden, ist vorbei. Was ist Verantwortung? Im Zweifel was sagen?, im Zweifel was tun? Längst ist auch das Wetter Krieg, mit Opfern, die geflohen sind, fliehen, fliehen werden. Welchen Sinn kann jetzt noch Nationalismus haben? (Welchen hätte er jemals gehabt?) Welchen Sinn könnte es haben, zu denken, es gäbe fremdes Leid?
Frühling gleichzeitig, gleichzeitig Krieg, Alltag gleichzeitig, Arbeit, Freude gleichzeitig, und gleichzeitig unser längst nicht mehr angemessener Ressourcenverbrauch, gleichzeitig das Bewusstsein davon. Normalität ist Gleichzeitigkeit. Niemand muss Kassandra heißen, um jetzt rufen zu dürfen. Niemand muss Kassandra heißen, um sich selbst zu fragen. Wo steht P., wo stehe ich? Die Amsel oben im Baum, auch dieses Jahr. Oder: dieses Jahr noch. Wer ist verantwortlich? Frage ich P., frage ich mich? Fragen Sie sich?
Koordinaten: Newsblog des Deutschlandfunks zum Krieg in der Ukraine.
Hören, sich fragen: Einstürzende Neubauten, Die Wellen