Polianders Zeitreisen

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Liebe Begine,

07.02.2022 · poliander

fünfunddreißig Jahre, was für eine Zeit! Ich wünsche der BEGiNE ‒ der Kneipe, der Kultur, der Kneipenkultur ‒ und allen Frauen, die daran mitarbeiten, Glück und Erfolg. Und den Gästinnen wünsche ich schöne Begegnungen, viel Vergnügen in der BEGiNE.

Was mich mit der BEGiNE verbindet, sind viele Besuche, gerade als ich um die fünfunddreißig war und eine bewegte Zeit durchmachte. Es war gut, an einen Ort zu kommen, wo keine von mir erwartete, einem bestimmten Bild von Frau zu entsprechen, wo niemand fragte und keiner ein Urteil über mich fällte. Da sein, einen Kaffee trinken, mit anderen einen Blick tauschen, wie einfach, wie wunderbar.

Was mich bald danach mit der BEGiNE zu verbinden begann, ist die beginische Aufmerksamkeit für das Schreiben von Frauen. In der BEGiNE lesen, mit Frauen über Literatur sprechen, ihre und eure Meinung hören, jedes Mal nehme ich etwas davon mit. Und dass die BEGiNEn in den langen Monaten der Lockdowns den Kontakt zu kulturinteressierten Frauen und zu uns Kulturarbeiterinnen hielten, ein Blog einrichteten, Veranstaltungen nach online verlegten, Ideen aufgriffen und sich selbst einiges einfallen ließen, tat gut, tut gut.

Was mich mit der BEGiNE verbindet, ist nicht zuletzt der Name. Die Beginen waren eine von mehreren mittelalterlichen Frauenbewegungen, die bekannteste und machtvollste. Sie bildeten Gemeinschaften, in denen sie als Frauen „keusch“, das hieß: ohne aufgezwungene Ehe, und von ihrer Hände Arbeit lebten. In vielen Städten arbeiteten sie mit großem wirtschaftlichem Erfolg, besonders, aber nicht nur in der Textilherstellung. Das provozierte die Zünfte. Die beginischen Ideale von Armut und Keuschheit, ihre Kritik an den sexuellen Übergriffen von Klerikern provozierten die Kirche. Wie aktuell! Als soziale Bewegung wurden die Beginen laut und sichtbar. Sie sind Frauen, an die zu erinnern uns ermutigt, patriarchale Verhältnisse zu untergraben. Wir können uns auf sie berufen.

Liebe BEGiNEn, ich wünsche Euch ein langes Leben und dass die BEGiNE ein so freundlicher Ort für Frauen bleibt!

Koordinaten: Die BEGiNE im Netz.
Polianders Brief mit © Ulrike Gramann erschien gedruckt im BEGiNE-Geburtstagsheft.
Foto: BEGiNE-Geburtstagsheft mit zahlreichen Beiträgen und Glückwünschen.
Mehr Wissen über die Beginen: steht in den Büchern aus Polianders Feminismus-Regal, nämlich beispielsweise:
Ute Weinmann: Mittelalterliche Frauenbewegungen. Pfaffenweiler 1999
Bonnie S. Anderson, Judith P. Zinsser: Eine eigene Geschichte. Frauen in Europa. Bd. 1: Verschüttete Spuren. Zürich 1992
Erika Uitz: Die Frau in der mittelalterlichen Stadt. Leipzig 1988.

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