Polianders Zeitreisen

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Wüste, Berghaus, Chor

07.05.2015 · poliander

Judäische Wüste

Judäische Wüste

Als P. in die Wüste wanderte, blieb im Hinterkopf das Wissen um ein klimatisiertes Zimmer (okay, wir hatten die Klimaanlage ausgestellt), um Gurken und Tomaten zum Frühstück, die Wasserflaschen im Kibbuzsupermarkt. Die Sonnencreme hatte LSF 35, das Mobiltelefon Empfang, einmal fuhren Geländewagen vorbei, und zur zuvor verabredeten Zeit kehrten wir um. Gegen Abend fuhren wir baden.

Moses und seine Leute und Aron, der Bruder, gingen einfach so. Es sollte ein Weg aus der Gefangenschaft sein, das Zurück versperrte ein Meer. Sie gingen durch die große Leere, die so voll ist, voll von Steinen, von Sand, voll von Himmel.  Wenn sie blüht, die Wüste, für kurze Zeit, bleibt sie doch voll: Leere, wieviel Grün es da gibt, hat auch P. gesehen. (Schaun Sie selbst: Bild links.)

Die Geschichte beginnt mit Versprechen: ein Bund mit Gott und ein verheißenes Land. Die Geschichte spricht von vielen, deren Zahl 600.000 sei, was vielleicht übertrieben ist, von zwein, die vorangingen, vom Hoffen, vom Wandern (aber nicht von Sport, muss man ja neuerdings eigens erwähnen), vom Warten, der Rückkehr zum gewohnten Kult, vom Streit, vom Wort, vom Wort, wieder vom Wort, von der Rückkehr Moses vom Berg, vom Wort, vom Wort, vom Wort, von einem wortgewordenen, gesetzgewordenen Gott, vom Weg nach Kanaan, dessen grüne Hügel… Verheißung.

40 Tage blieb Mose auf dem Berg.

Arnold Schönberg schrieb seinen Text, seine Musik, sie könnte nicht mehr 20. Jahrhundert sein, nicht mehr Geist, und ohne die Mythos gewordenen Theorien Sigmund Freuds kann P. sich diese Musik und diesen Text gar nicht denken. Ja, P. staunt wieder, wieder, wie solche Sätze dann doch: gesungen werden.

P.s Kopf verbindet Schönbergs Musik mit dem Namen von Ruth Berghaus, mit der Ahnung eines Meers, die P. damals hatte, 1988, eines Weltenmeers in der Wüste. Das liegt daran, dass ich 1988 die wirkliche Wüste noch nie gesehen hatte und nicht wissen konnte, dass auch sie ein Weltenmeer ist. Wenn P. es besser gewusst haben mag, war P. wohl wieder mal abwesend. Und was ist schon Verstehen/ Nichts gegen Verstehen/ Aber. Die Wüste und darin die Vielen, Aron und Moses, machten P. und mich ganz heiß im Kopf, hinterließen mythisches Chaos in unseren Gehirnen. (Und deshalb schrieb Gramann später: … und das war wirklich, wirklich, wie alles, was aus dem Chaos kam.)

Also wir, und Sie sollten das auch tun, aber wirklich!, wir wollten “Moses und Aron” wiedersehn, wieder Berlin, diesmal Komische, nicht Staats-Oper, diesmal Kosky, nicht Berghaus. Und auch diesmal, vor allem: der Chor, die Bühne, voller Menschen, 200, bestimmt, ein Singen, das ganz durch den Körper geht, und nur leise atmende Stille daneben im (sicher) ausverkauften Haus. Hören Sie mal, sagt P.: Das muss man doch gar nicht mit Berghaus vergleichen! Man spürt die Wüste, sagt P., die Steine, ein paar trockene Pflanzen, die daran erinnern, dass sie auch einmal blüht, nicht jetzt, nein, und ein paar Tiere, auch die, und man soll auch nicht denken, dass die alle giftig wären. Und dann den Himmel, sein Dröhnen in den Ohren der Vielen, die nicht anders können. Als Singen. Und als Moses kommt, vom Berg, und statt auf steinerne Tafeln die Gesetze mit roter Farbe auf die Haut geschrieben trägt, ist da wieder das Flüssige, das Meer, in der Farbe, die verläuft, so stürzt der Schweiß aus der Haut des Sängers, alles ist Wüste und Meer. Und nur wer eilt, kann es mit eignen Ohren hören, mit eignen Augen sehn.

Koordinaten: 2. Buch Mose, Szenen und Handlung bei Schönberg, Inszenierung der Komischen Oper 2015.

Erregung · Ohrenschmaus
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