Eine nette Dame führt die Aufsicht. Sie steht vor jenem gläsernen Würfel, in dem Poliander und ich jene Lichtinstallation von Rosalie vermissen, die jahrelang den Karlsruher Südwesten erhellte. Es ist vor 11, die Dame erzählt P. und mir von ihrer Arbeit als Aufsicht im Zentrum Kunst und Medientechnologie Karlsruhe. Interessant sagt sie, viele Leute, viel Kunst, gute Gespräche, die sie schätzt. Welche Ausstellung empfiehlt sie? „Cross-border“, Kunst arabischer Frauen, und sie war dabei, als die Frauen ihre Kunst aufbauten. Augen leuchten, ZKM öffnet, wir gehen hin.
Im ZKM ist es immer gut. Muss man mal sagen, geht man blindlings hin und auf Verdacht, und immer sieht man was, das die Gedanken frei macht, aufräumt und durcheinander bringt. Heute folgen wir dem Rat der netten Dame. P. und ich gehn also ganz durch, durch durch und durch Räume und Lichteinfall von verschiedenen Seiten, vorzugsweise von oben, bis zum Museum für neue Kunst. Dann hört man die Geräusche, oh, Videokunst, P. mosert. P. muss da durch. Später mosert P. nicht mehr, sondern schaut das Video „The Smuggler“ einmal und nochmal und will gar nicht weg von dieser Frau, die Textilien zum Verkauf über die Grenze trägt. Wie sie die Textilien in großen Packen greift, mit Schnüren um den Körper zurrt und mit einer Helferin ein langen Hemd darüber streift – perfekt. Und später, wieder dünner und im eignen Hemd: Beachten Sie die Handbewegung!
Weitergehn, im Wechselbad von Gefühlen, eignen, andern, schauen:
FORE><ER
SILENCE
gespiegelte Worte, Leserlichkeit, Unleserlichkeit, es geht um Grenzen, aber das kann viel bedeuten und bedeutet auch viel, „C’est le courage“, sagt eine, und eine andere schmiedet selbst ihren riesigen hübsch verzierten Keuschheitsgürtel. Neue und alte Gefahr, Wagnis, und Versuch. „What are you doing here?“, fragt der englische Untertitel und die böse Stimme eines Mannes die ägyptische Künstlerin Amal Kenawy. „Silence of the sheep“, sie ließ eine Gruppe Menschen auf allen Vieren durch Kairo gehen und kriechen, was die Wut der Passanten provozierte. Hatte Kenawy denn keinen (nationalen) Stolz!, man ließ sie verhaften, wegen „cross-border“ im wirklichen Leben. Dann Diala Khasawnih, die in Jordanien Frauen über ihren ersten BH befragte. Ihre Installation ist bunt, provozierend schön und lässt sicher keine ungerührt. P. muss unbedingt etwas in das Buch schreiben, in dem jedeR ein BH-Erlebnis eintragen kann.
Es geht hier um Sex und Politik, die beiden interessantesten Sachen der Welt, und darum, was sie mit Grenzen zu tun haben. Lange sitzen wir vor den Projektionen, auf denen MigrantInnen ihre Reise mit dem Filzstift auf der Landkarte nachvollziehen und ihre Geschichten erzählen, nicht unbedingt speziell arabische Geschichten, Geschichten von der Welt, die von Auszug, Irrwegen, Lebensrettung, Fernbleiben und Rückkehr handeln.
P. nahm auch ein Souvenir, ein Heft, was auch sonst: „Arab Women at Home“, Porträts von Randa Mirza, und in dieses einfache Heft für 2 Euros schaut P. nun wirklich mehr als zweimal rein. Fahren Sie hin. Und grüßen Sie die nette Dame von der Aufsicht von uns.
Koordinaten: 49° 0′ 34“ N, 8° 24′ 15“ O. Bericht von dw: Über Grenzen. ZKM-Video: Cross-border. Künstlerinnen der Gegenwart aus dem arabischen Mittelmeerraum. Ausstellung noch bis zum 8. September 2013. Früherer Bericht Polianders aus dem ZKM.