9. April, Nahal David.
Am Tag zuvor kommen die Reisegefährtin und Poliander von Tel Aviv her gefahren, es ist diesig. Am Straßenrand blühender Oleander, rot, rosarot, weiß. So wächst Oleander also von Natur aus: in dichten Hecken. Weiße, wie in die Landschaft gehauene Häuserblöcke, kurz die Mauer. Auch saftiges Grün hat einen bläulich-zartgrauen Stich. Das ist also der Frühling, schockrosa und orange Bougainvillea, blühende Bäume, blühendes Gestrüpp überall. Jerusalem. Die Landschaft wird heller, gelblicher, grauer, weißer, es geht zum toten Meer hinunter, das in zartem Dunst liegt. Die Vegetation verschwindet fast völlig, in den nächsten Tagen werden wir sehen, dass das nicht stimmt, es schien nur so im abendlichen Dunst und in der Erregung des Fahrens die Berge hinunter und fast bis auf das Niveau des Salzsees. 420 Meter unter Normalnull. Die Ohren tun weh. Vereinzelte Kamele am Straßenrand, ihre Köpfe mit bunten Wollbändern geschmückt, wir sehen tagsüber dann öfter Touristen auf den Tieren reiten. Dattelpalmen, die vollkommen jenen Dattelpalmen gleichen, die man in der Illumination alter Bücher sehen kann. Überwältigt vom Realismus dieser Bilder auf die Landschaft schauen. Allgegenwärtiger Geruch nach Salz. Es riecht nach totem Meer, muss man jetzt sagen. Es riecht nach totem Meer, salzig, asphaltig. Abend ist, starker Wind kommt auf und biegt die Dattelpalmen. Fröstelnd auf der Terrasse des Hotels schauen wir auf den Höhenzug jenseits des toten Meers. Kleine magere Katzen betteln, springen auf die Tische, greifen nach dem Brot, Weinglas schwankt, jemand kommt und verjagt die Tiere mit Wasser aus Sprühflaschen, entschuldigendes Lachen zu den Gästen: die einzige Methode, die hilft. Plötzlich ist der Wind weg.
Der Morgen weckt mit einem hallenden Singen, man weiß nicht, ist es noch Traum oder Geräusch dieser Wirklichkeit. Nahal David. Man geht einen Bachlauf hinauf, an dem vier Quellen oder mehr entspringen. So grün habe sie den Ort nie gesehen, sagt eine, die schon öfter da war. Bäche, Rinnsale, dünne, aber mit Druck abwärts schießende kleine Fälle, überall Tiere, die wie Murmeltiere aussehen, aber Klippschliefer sind. Sie sind nicht scheu, aber flink und schnell weg. Nach oben hin wird der Schwarm der Touristen lockerer, dünner, schließlich bleiben einzelne Wanderer und Paare. Kalk, Kalk, Steinbrocken, wir sind in der Wüste. Die Quellen sind unwiderstehlich, Attraktion, die Winterregen, die selten und stark sein sollen, kennen wir nicht, jetzt blüht alles, dass auch schon die Trockenheit beginnt, reimen wir uns zusammen. Ausblicke Ausblicke. Reste von Mühlen, Steine, calcolithe temple, calcolithe era, immer wieder kleine Wasserflecken, wo es aus dem Boden quillt. Am Fuß des Höhenzugs ein Kiosk, Inlands-, AuslandstouristInnen, glücklich in einem Schatten aus palmenwedelgeflochtenem Zeltdach, und als wir uns wegwenden, plötzlich die ersten Steinböckchen, wir ziehen entzückt die Kamera heraus, und dann sehen wir mehr und mehr und schließlich viele, sie sind überall.
Koordinaten: Ein Gedi, 31° 26′ 59“ N, 35° 22′ 59“ O.