Froschkönig im Höchgarten
Wäre Berlin die Welt, läg er an ihrem Ende: ein Garten ganz im Nordwesten, in Heiligensee, an der Wildbahn, an der Hasenfurt, zwischen Bäumen, kleinen Straßen und Flurstücken von absurder Namensschönheit. Haltestelle Bekassinenweg. Die Bekassine ist der Vogel des Jahres 2013, man nennt sie auch Meckervogel und Himmelsziege. P. weiß nicht, ob es am Bekassinenweg Bekassinen gibt. Aber an der Hasenfurt gibt es ganz bestimmt Hasen. Hier, am Ende der Welt wie der waschechte Berliner sie kennt, lebte Hannah Höch, Fotomonteurin, Malerin, Herrin eines labyrinthischen Gartens.
Es ist schon tiefer Herbst, der Wind geht, aber noch vor dem Frost. Die Dahlien blühen noch. Höchs Garten war ihr Versteck, als sie nicht malen, nicht ausstellen durfte, ihr Exil, als all ihre Künstlerfreunde im Exil waren. Ihr Anker, ihre Rettung, ihre Gemüsesuppe, ihr Rührei und ihr Hasenbrot. Ihr Blumenstrauß, ihr Rosengarten, ihr Dornengestrüpp. Höchs Garten ist kein Museum! ist bewohnt. P. findet das wunderbar. P. verläuft sich gleich erst einmal im Garten, immer hinter dem Gartenbewohner her, und immer vor eine Hausecke. Oder vor eine Staude, die die Wegbiegung verdeckt. Auch Höchs Atelier, dick bewachsen von altem Efeu, ist kein Museum. Der Gartenbewohner malt hier. Ach! Und im Nebenzimmer fiept ein Hund. Dann kommt er herein. P. ist ahnungslos von Hunden, der streicht um P.s Beine, freut sich, ein schwarzer Hund mit einem schönen, aufmerksamen Gesicht. Auch Hannah Höch hatte Hund und Katze und Hühner, die sie “Hühnies” nannte. Und Kakteen, den ganzen Frühling, Sommer und Herbst standen sie im Freien, bewachten das Haus, das derweil hinter Bäumen, Fliederhecken, Glyzinien und Rosen verschwand. Schönheit ist Rettung. Höch schrieb Der Garten – was er mir bedeutet. Punkt 3: bringt er so viel Schönheit, so viel differenzierte Farben und Formen, Zartheit und rauscherzeigende ästhetische Genüsse hervor, daß er meinen Hunger nach dem Vollendeten, dem Großen und Einmaligen stillt. Heilsame Atmosphäre von pflanzlichem Beistand und freundlicher Rettung. Poliander zieht den Hut und lässt den Herbstwind übers unbedeckte Haupt blasen.
Gartenneugierige können sich in der schönen Jahreszeit bei Herrn Bauersachs zum Besuch anmelden. Wer jetzt schon mehr erfahren will, liest am 3. November 2012 Polianders Bericht vom herbstlichen Gartenbesuch, Höchs Gartenkunst und Bauersachs’ Bildern in der Wochenendbeilage der Tageszeitung ND:
Ein Garten, um darin vergessen zu sein
Koordinaten: Hannah Höch, 52° 37′ 0” N , 13° 14′ 0” O, Hannah-Höch-Haus Berlin. Gartenbesuch von April bis September nur nach Anmeldung. Bekassine – Vogel des Jahres 2013, Bekassinenruf