Polianders Zeitreisen

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Schachbrettmuster, Schweigen und zuviel Besuch

07.10.2012 · poliander

Hirsauer Schachbrettmuster in Hirsau

Hirsauer Schachbrettmuster in Hirsau

Hirsau, ein kleiner Ort bei Calw. Wie alle, die je etwas über die Romanik lernten, lernte P., dass ihre späten Innovationen aus Cluny und Hirsau kamen.  P. wohnte in einer Vergangenheit im Schatten einer so romanischen Klosterkirche, die so perfekt war, wie das nur die romantischen Rekonstrukteure des 19. Jahrhunderts hinbekamen. Gut, dies Coelinblau innen, jene Sterne, die hatten sie hinzugetan. Aber wen kümmerte das, im Gegenteil, für einen so verbotenen Ort gehörten sich Sterne.

Hirsau, wir fuhren mit dem Auto hin. Da war viel Platz für Busse, aber ein Glück waren die Busse noch nicht da. Die Treppen zu einem Fruchtspeicher hinauf gingen Finanzbeamtinnen. Das poetische Wort geisterte in unseren Köpfen, die Frucht, das war das Korn. Dann die Ruinen, ihre windschief übereinander liegenden Grundrisse, hier eine Reihe gotischer Bögen, dort romanische Mauern, hier eine Schlossruine, dort eine spätgotische Marienkapelle. Himmelblaue Reihen von Plastikstühlen wurden errichtet an jenem Tag, geschäftig zogen Männer Versorgungsleitungen über gleichmütige Mauern. Ein Aberwitz geisterte in unsere Augen und zerstreute sich über die Grasnarbe. Hier wurde zuviel Besuch erwartet. An einer Mauer stand ein Apfelbaum, nicht mehr jung, mit Ästen, die sich bogen. Die duftenden Äpfel lagen zuhauf, ich streckte die Hand und bückte mich, doch jede Frucht war bedeckt von Wespen, die sich alkoholisierten mit den gärigen Säften, in ihrem Überfluss.

Kinofilme sollten gezeigt werden, doch jetzt war noch Tag. In der Kapelle war es leer, doch von Stille sprach nur das Gästebuch. Der Lärm von draußen kam herein. Nun waren auch Busse angekommen, gewiss doch, wenn wir hier waren, warum sollten die anderen nicht hier sein? Auf der Wiese, die einst das Kloster war, konzentrierte sich eine Gruppe Esoteriker, sie gingen umher und legten den Steinen die Hand auf. Die Basen verschwundener Säulen waren überwimmelt von roten Käfern, da griff keiner hin.

Eulenturm

Eulenturm

Sagte ich, dass Herbst war? Und ein warmer Tag dazu, ich lief zum Eulenturm. Das Kloster in Hirsau war eines der größten im deutschsprachigen Raum, ein Baukloster, das die Formen und Ornamente, die aus Cluny kamen, verbreitete. Die Baumönche wanderten überall hin, auch ins ferne Thüringen, mit ihrem Bauen die Slawen zu bekehren. Deshalb und für die Konzentration der Bekehrer die vielfach gestaffelten Chöre, in denen sich die Geister parallel versenkten in Stille.Was sie wirklich glaubten, wer das weiß, wer das wissen will.

Man findet sie überall, an der Peterskirche im türmereichen Erfurt, in Thalbürgel, Paulinzella, eigentlich überall, wo späte Romanik, frühe Gotik blieben, mehr und stärkere Spuren, jene massigen Türme, jene Bogenkanten, jene Obergadenfenster, die den Raum in Licht auflösen und zur Gotik weisen, und jenes Schachbrettmuster, das P. schon immer liebte. Autos kamen und fuhren wieder. O das Licht des frühen Herbstes. Am nächsten Tag wollten wir in grünem Wasser schwimmen. An einem fast antik wirkenden Brunnen, vor einem Hotel mit absurden Verstrebungen und Stoffdächern als Vorbau trank P. einen Espresso, das war die Moderne, die ließ P. nicht los.  Kehrte noch einmal zu den Ruinen zurück. Es war zu laut dort für die Stille, doch die Käfer hörten nicht, und fern krähte ein Hahn. Wir drehten ab und fuhren hinauf auf eine Höhe des richtigen Schwarzwalds. Der Blick ging in ein dunstiges Tal, denn es war warm geworden, und Feuchte stieg hoch. Uns kam die Lust auf einen Platz am Fluss und den Wein mit dem bezugreichen Namen: Blanc de noir. Wir konnten noch viel erzählen und konnten nicht anders: Die Romanik war doch das schönste.

Koordinaten: 48° 44′ 16” N, 8° 43′ 56” O

Reisebrief
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