Polianders Zeitreisen

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Auf Kolonos zum letzten Mal

05.05.2012 · poliander

Bild: Badisches Staatstheater Karlsruhe

Bild: Badisches Staatstheater Karlsruhe

Zum letzten Mal Auf Kolonos. Das heißt: Ödipus ist gegangen. Das heißt: Die letzte Vorstellung ist gewesen, liebe Leserin, lieber Leser, mindestens für diese Spielzeit. Das kleine Haus, der Saal nicht einmal ausverkauft, im großen Haus nebenan: Don Giovanni, nichts gegen Don Giovanni, nichts gegen Mozart, nur dass die Opernbesucher so befremdet schauen, dass P. Fluchtreflexe unterdrücken muss, in der kleinen Stadt. Nur Mut: Im kleinen Haus ist es still, als wir hereinkommen. Zwei Frauen schaun in den Saal, gehn über die Bühne, leichtfüßig, man hält sie einen Augenblick lang für sehr anmutige Theaterbesucherinnen, überaus ungezwungen, wie sie sich da bewegen. Nicht leicht, sich da einfach zu setzen anstatt den Fuß ebenfalls durch den Saal eilen zu lassen. Dann aber gehören sie zu Ödipus’ Gruppe, zeigt sich, sie sind Antigone und Ismene, Töchter und Schwestern des Ödipus.

Kolonos liegt außerhalb, am Rande von Athen, ein Ort, in dem Ödipus und “die Mädchen”, wie Handke sie nennt, bleiben können. Die ganze Gegend hier ist heilig, und sie hat/ Der reine Poseidaon. Drin ist aber/ Der feuerbringende, der Gott, der Titan/ Prometheus… Das Bleiben der Flüchtigen wird noch bestritten werden, weil er er ist, Ödipus Ödipus, und der Ort der Ort: der heilige Hain der Eumeniden, furchterregender guter Göttinnen. Der Chor, BewohnerInnen des Ortes, Wanderer und Theseus zugleich, erschrickt vor dem Gast. Die Töchter tanzen, ruhelos; Ödipus, in verschiedener Gestalt, erzählt: Seine Taten habe er mehr erlitten als verübt. Nun will er sterben, und der Ort seines Grabes, sprach das Orakel, wird Glück bringen seinen Bewohnern. (Und darum wollte Kreon ihn, Ödipus, nach Theben holen, ihn vor der Stadt zu begraben, als Schutzwall in seinem Krieg.) Abkehr vom Kampf: Ödipus folgt weder Kreon, auch nicht, als der die Töchter entführt, die Theseus dann befreit, die Rechte der Flüchtlinge so schützend,  noch lässt er, Ödipus wieder, sich von seinem Sohn Polyneikes zur Rückkehr bewegen. Nicht nach Theben, wo Polyneikes dann sterben wird, Antigone ihn begräbt entgegen dem Verbot des Tyrannen (doch das ist eine andere Sache, die wir nur wissen, nicht heute erzählt sehn).  So ist es gut. Ödipus zieht sich zurück, Ödipus stirbt, ein Bote kommt, ein Zeuge. Zurück bleiben die Mädchen.

Das ist die Geschichte. Noch nie, liebe Freundinnen Leserinnen, sah las hörte P. sie so ergreifend erzählt.  Der ruhelose Tanz, dessen Musik nur in der streifenden Bewegung sich zeigt, die Gruppen von SprecherInnen, aus denen wer hervortritt, der jetzt Ödipus, gleich drauf im roten Kleid eine andre sein kann, die Tänzerinnen, der Gesang. Die Worte, Hölderlins Fragmente, so trefflich gewählt: Denn nirgend bleibt er./ Es fesselt kein Zeichen, nicht immer./ Ein Gefäß ihn zu fassen. Die Musik, P. erkennt kaum, was sie zitiert, nur dass, P. löst sich auf in der Musik und setzt sich wieder zusammen, und es ist keine Überwältigung, sondern ernst und leicht.

Ach, wärt ihr dabei gewesen.

Koordinaten: 28. April 2012, Badisches Staatstheater, 49° 1′ N, 8° 24′ O, Sophokles, Mythos vom Ödipus
Musik: Wolfgang Rihm, Übersetzung von Ödipus auf Kolonos: Peter Handke
Vertonte Worte: Hölderlin, Odyssee, Hermann Lenz
Bild links, Quelle: Badisches Staatstheater Karlsruhe

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