Polianders Zeitreisen

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Loibls Buchstabenkunst 1

10.12.2010 · poliander

Loibls Material, geschnitten, aufgeblättert, hier: unter Glas

Leinen der Buchbinderin. Geschnitten, gedreht, unter Glas. Detail einer Arbeit von Ruth Loibl

2009 bei der Mainzer Minipressenmesse: Im hinteren großen Messezelt bogen sich die Tische unter Büchern. Dieser Stand rechterhand aber war eine Oase.

Nur ein paar Bücher lagen darauf. Ernst, freundlich stand die Druckerin hinter ihnen, “Wahre strenge Geschichten” hieß der apfelsinenfarbene Band, der mich anzog, der Titel tief und hellblau in das Leinen geprägt. Seiten des Buchs waren nicht mit Text bedruckt, sondern mit Linien, deren Anordnung und Länge Eiform suggerierte. Das 1. Kapitel: ein Auszug aus einem Brief von Jacob Grimm. Das 2. Kapitel: die Erzählung einer jugendlichen Asylbewerberin, Fabronia M. vom Teekochen und anderen, alltäglichen Verrichtungen. 3. Kapitel: die Beschreibung einer Kunstaktion. Seiten ließen sich ausklappen. Große Buchstaben:  BL EI  L EI B. Ich wollte das Buch haben. Ich wollte die Druckerin kennenlernen. Ich würde das Buch in der Werkstatt abholen. Wir verabredeten ein Treffen in ihrer Stadt: Rheinfelden bei Basel. Als ich hinfuhr, war Herbst. Ich fand Ruth Loibl in ihrer Werkstatt, einem aufgeräumten Ort. Alle Bleilettern lagen in Kästchen, überhaupt alles lag in Kästchen. Eine Zeichnung hing an der Wand. Darauf sah ich eine Werkstatt. Der gezeichnete Staub auf dem Boden formte die Schrift „STAUB“. Ruth Loibl und ich tranken Tee. Ich sah mir alle Bücher an, die sie hier gedruckt hatte. Die Reihe hieß: „Spielen und Aufräumen gleichzeitig“. Als sie einmal eine ihrer Töchter aufgefordert hatte, ihr Zimmer aufzuräumen anstatt weiterzuspielen, sagte die: „Ich kann spielen und aufräumen gleichzeitig“. Das ist: Arbeit.

(Fortsetzung folgt)

Koordinaten: Minipresse, badisches Rheinfelden: 47° 33′ 40” N, 7° 47′ 30” O

Begegnung
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