Polianders Zeitreisen

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Hund, hieß Luna

08.06.2009 · poliander

Lesebus fährt nicht.

Der Fluss in seinem steinernen Trog glitzerte. Poliander waren die Stiefel eng auf dem Weg zum Ufer, Wind schnob ihm die Haare aus dem Gesicht, ein Sonnenbrand begann seinen Lauf auf Stirn, Nasenrücken und Oberlippe. Die Zelte dort vorn mussten es sein, P. beschleunigte den Schritt, Schatten, dachte er. Im Innern war es taghell, kurz flog P. ein Buchmessengefühl an,

die Einsamkeit neben Büchern fremder Leute.  P. zog die Reihen der Bücherstände mit Blicken aus: knochiges Hüftgebein, überraschend bloße  Oberarminnenseiten, bepelzte Stücke Handrücken und Kinn, Tiermaul, blickdichtes  Oberlid, wimperndunkler Aufschlag, hinter dem ein StillruhtderSee zu vermuten war. Ritter oder Ritterin?, dachte P., er  entschloss sich: Neugier voran! und betrat die Bücherweide, wo Druckerzeugnisse grasten. Bildpostkarten ließ er links liegen, dahinter ein Stand mit einem emsig wirkenden  Mann, der was kritzelte, ohne hinzusehen, aber P. sah hin: Tiere, Kamele, Kühe, Wie heißt dieser Hund?, fragte  Poliander und deutete auf einen langohrigen, kurzbeinigen mit Punkten. Luna, sagte der Mann, Luna blind, und ignorierte, was P. in Wahrheit hatte wissen wollen, Hunde mit Punkten, wie nannte man die ? Und waren die nicht sowieso hochbeinig? Und warum zeichnen Sie mit geschlossenen Augen?, das fragte P. Erleichtert die Arbeit, sprach der Mann. Aha, sagte P., begriff jedoch nicht, Ich bin Arzt, sagte der Mann, der Doktor also, Wenn ich Kindern Blut abnehme, zum Beispiel, zeichne ich dabei Tiere, ohne hinzukucken, die Kinder kucken, wundern sich, dass ich die Tiere auswendig zeichne, Blut ist abgenommen, fertig, sagte der Doktor. Er zeichnete auch Bücher und Leporellos, sah P., schaute gleich begehrlich. Wenn Sie mir, sagte der Doktor, meine Losung in eine fremde Sprache setzen, gebe ich Ihnen das Bild. Tiere Zeichnen Mit Ohne Kucken, las P., Dessigner Les Animaux Les Yeux Fermeés. Fremde Sprache hab ich nur die, die sie auch schon haben, alte Sprache, geht das auch?, fragte P., Ja, geht, sogar gern, sagte der Doktor, P. sagte: malen diu tier an schouwen, P. lächelte, Schreiben Sie’s mir! sagte der Doktor und reichte Luna über den Tisch. Poliander dankte. Ging weiter, unter den Füßen atmete die Erde. Am anderen Ende, im zweiten Zelt, die Büste von Peter Hacks, hinterm Stand Hacks’ Eckermann, P. fragte, P. grinste, kein Zauber, flüchtiges Nicken, woanders dann ein Buchkatalog, drauf ein Möchtegerngedicht von einem Möchtegerntucholsky, P. grinste wieder, plötzlich Gedränge, P. warf die Arme hoch und drehte sich durch die Leute und drehte sich um und um und stand vor Büchlein aus dickem Papier, Anfassenslust packte P., ach! Drehte sich um, Geräusch in Fußhöhe, ein Bellen jetzt, ein herrenloses, Geh!, sagte Poliander, Wohin?, sprach der Hund. Zu deinem Menschen, sagte Poliander, Hab keinen, der Hund. P. seufzte. Man wusste, worauf so was hinlief, Genau, sagte der Hund, bring mich raus. P. sah das hellere Licht am Ende des Zelts, ging voran, Hund neben sich, ging hinaus, Ich brauch einen Kaffee, sagte P., Wir treffen uns am Baum, sagte der gepunktete Hund mit den kurzen Beinen.  P. wusste gleich, an welchem Baum, dem mit einer Bank rundrum. Als er hinkam, saß eine Frau da, schwarze Haare, dunkelrote Sommersprossen, Entschuldigung, sagte P., Haben Sie einen Hund gesehn? Sie griff in die Hosentasche, brachte einen Spiegel zu Tage, Ich seh eine Frau, sagte rasch ihre helle Stimme. P. seufzte. Er hielt ihr den Kaffeebecher hin, sie teilten das bittere brühheiße Getränk. Gehn wir ans Ufer, sagte die Frau und wies auf die Anlegestelle, Ich will zurück zu den Büchern, sagte P., Zu viele Menschen, stellte sie fest, P. aber stand auf und ging zielstrebig zwischen  den Tischen hindurch und zu jener Anfassenslust aus weichen Papier, über die eine Frau herrschte mit rot-eckig-kurz-festem Schopf, dreimal Bindestrich, dachte P., ich will sie besuchen, suchte sich ein Buch aus, bemäntelte die Neugier mit fehlendem Geld, auf seiner Stiefelspitze fühlte er einen Fuß, eine Pfote eher, als er hinsah, war da nichts, er überreichte seine Karte und würde sich melden. Als er einen Underground-Comic kaufte, spürte er wieder den Pfotentritt. Hinterm Comicstand war ein Vorhang, da zog’s ihn hin, da zog’s ihn hindurch. Hinterm Vorhang wartete Luna, rötliche Sommersprossen flossen von ihrem Hals bis zum Schambein und erweckten den Eindruck eines kurzhaarig seidigen, gefleckten Pelzes. Ich wollte zum Lesebus, sagte P., Lesen hören kannst du immer, sagte Luna, Es ist nur ein Vorhang, der uns von der Menge trennt, sagte P., Nichts trennt uns von der Menge, sagte Luna, Ich habe unanständige Gedanken, sagte P. Luna lachte nicht, sondern hob die Hand, und in ihrem Handteller sah P. die Zeichnung eines Fensters, dahinter eine Straße und jenseits der Straße eine Reihe von Platanen und hinter den Platanen den Fluss, auf dem ein Schleppschiff vorbeizog, und durch das Fenster in den Aufbauten des Schleppschiffs sah Poliander ein Paar, das sich küsste, Vorsicht, wollte er rufen, Habt ihr die Hand am Steuer?, richtig, sah P., der Schiffer schaute der Frau, während er sie küsste, über die Schulter und lenkte den Schlepper, nicht gerade mühelos, musste man sagen, aber grad an der steinernen Brüstung vorbei. Übers Deck rannte ein kurzbeiniger Hund mit schwarzen Punkten im Fell.

Koordinaten: Minipressenmesse 2009

Begegnung · Schönste Stellen
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