Es ist der erste Sommertag, 30. Juni, wenn einer deutschen Stadt überhaupt je kontinentales Wetter möglich ist, dann sollte es hier sein, und zwar jetzt, doch es lässt auf sich warten, die letzten zwölfwochenlangen Hitzeperioden sind Jahre her, es ist nicht egal, das Wetter, das Wetter in Berlin, das Klima in Brandenburg, es ist nicht mehr verpönt, das Wetter ist das einzige Thema, Kälte, Regen, Ärger, der durch S-Bahnen wabert. 30. Juni, der erste schwüle Tag, ein diesiger Morgen, du besorgst dein Zeug, Post die wegmuss, Post, die herkommt, dann kommst du aus der Schwüle wieder rein, nassgeschwitzt, nein, es war nicht warm, gleich drauf frierst du am Schreibtisch. 19 Uhr gehst du auf den Balkon, da ist plötzlich Himmel da, Zeit und Blau. Du traust dem Frieden nicht, alle anderen haben den Sommer schon begriffen, heut oder nie, du eilst, das Wetter widersteht der Eile mit Zuckergeruch von Linden. Einen südlichen Augenblick glauben alle an den Sommer, Kinder steigen auf die turmhohe Brunnenfigur am Rüdesheimer Platz, ein Ritter, Siegfried und Sieger, endlich der Bestimmung zugeführt, ein Kletterfels zu sein. Keine Musik, nur Stimmen, Gewirr, die Kleider, Windstille, der Weinbrunnen ist ein Kiosk, dein Lieblingsplatz ist unten, zwischen den Beeten, so lindenumstanden und baumbekränzt, ein Paradiesgarten, wäre er nicht zu groß dafür und ließe sich das Einhorn blicken. Im Senat haben sie Heliotrop angeordnet, tiefviolett, und fleißige Lieschen, knallpink. Oben am Brunnen sitzen sie in Gruppen, auf haltlosen Bänken, schwankenden Stühlen, Rabatteneinfassungen unten die Paare und Freundinnen, du auch, bist verabredet. Weinbrunnen ist ein schöner Name, aber der profane Wein kommt aus der Flasche. Er schwappt über auf dem Weg vom Kiosk, du opferst ein paar Tropfen, überlegst es dir, leckst über die Hand, später ziehst du die Kamera aus der Jacke, du hast natürlich eine Jacke dabei in deinem Misstrauen gegen das Wetter, Himmel und Menschen, du gibst es schnell auf, den Sommer zu fotografieren, du machst ein privates Foto von G., wie sie trinkt und von Ernstem spricht, Wein mischt sich mit dem Wasser vom beschlagenen Glas auf den Boden, wo eine Assel vor der Erschütterung erschrickt und wegrennt, es scheint nie zu enden, da kommt Wind auf. Nicht doch, nicht schon heute, du wolltest einschlafen in dieser Wärme, diesem Schweiß, Rauchgeruch, Pfirsichgeschmack, rosa Schnaps, der einen anderen Sommer geschluckt hat, weiter westlich her. Es donnert, nicht jetzt dieses Gewitter, es donnert, ihr schiebt davon, weiche, schwere Tropfen durchnässen die Haare, Lindenblüten eilen zur Erde, der Geruch fließt, mischt sich mit dem Regen, mit dem Staub, der eben anfing, eine Idee von Steppe zu geben, ihr stellt euch unter, es regnet auf G.s Rad, Es hat keinen Sinn, ich fahre, sagt sie und wischt den Sattel trocken, in ihren Brauen eine Spur Hortobagy, doch so trocken wie dort kann es in Berlin nicht werden, niemals, Fahr vorsichtig, rufst du. Was nicht nass werden darf, wird von der Jacke in die Hose geschoben, Zigaretten, Mobiltelefon, nur die Kamera passt nicht in die klammen Taschen und ist jetzt kein Ding mehr, das Bilder macht, sondern eins, das nicht nass werden darf, zuletzt die Brille von den Augen, so siehst du immer noch besser als mit dem wasserüberströmten Ding. An der K.-Straße schaust du nach links, wo milchiges Blau steht (nur über dir immer dieses Graubraun), es ist noch hell!, und es regnet auch aus dem Blau oder hat geregnet, fällt auf die Straße, und in diesem See der halbe Mond, verschwommen in den kurzsichtigen Augen wie im Spiegel eines Gewässers, es ist gleich jetzt, ob du schneller gehst oder nicht, ob du nass bist oder nicht, du bist nass bis auf die Haut, es ist Sommer, es ist ganz altes Wetter wie damals, als die Götter es noch selbst herstellten.
Koordinaten: Rüdesheimer Platz, Sommer