Polianders Zeitreisen

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Gewässerleben

09.05.2010 · poliander

Seerhein: auch im Westen, tiefer im Süden

Seerhein: auch im Westen, tiefer im Süden

Diesmal sind wir an Herrn Tullas Denkmal vorbeigefahren.

Der Fluss, als ich ihn zuerst sah, steckte in einem öden, gemauerten Bett, das mythische Gewässer war eine Enttäuschung. Ich erinnere mich nicht, den Dom von innen gesehen zu haben. Mehr erfuhr ich im Museum, damals, Fotos von Chargesheimer, ich blieb nur kurz in Köln und lernte niemanden kennen von den Leuten am eingemauerten Fluss und trug ein Buch weg, in dem mehr Menschen vorkamen als Gewässer, dann kam ich lange nicht wieder.

Ich wusste nichts von Herrn Tulla.

Die Elbe, die Labe, Albis, der Strom, Albja, Elf und Elfa, “allgemein für fluvius und immer weiblich”, nie soll man versäumen, aus dem Fenster zu schauen, wenn der Zug über die Elbe fährt, schon gar nicht im Frühling, wenn sie weich die umgebenden Wiesen wässert, und stundenlang sitzen Poliander und ich, wir sammeln Schiffe mit Augen, wenn sie in Hamburg in den Hafen fahren und von dort wieder aufs Meer. Ja, der Dreck, ich weiß, die Ausbaggerung, ich weiß, die Hafencity, ich weiß, die Zustände auf den Schiffen vor allem, ich weiß, und wie könnt ich es vergessen. Aber. Die Elbe.

Nichts von Herrn Tulla.

Wieder kam ich an den Rhein, Rhenus, Hrenus, Rin und Ryn, vom Stamme ri, gehen und fließen, der beiläufig ist zur Stadt Karlsruhe, mit Häfen an ihrem Rand, der ist ein

Rhein im See, nicht bei Karlsruhe

Rhein im See, nicht bei Karlsruhe

Grenzfluss, setz über, nimm nicht die Brücke, sondern die Fähre, du und dein Fahrrad, ihr passt allemal drauf, flussab fährst du in die Pfalz, flussauf nach Frankreich, doch auch auf dieser Seite erstrecken sich die Auen tief ins Land hinein, und dort stehn sie und gehn sie, die Arme, die Gewässer, die münden oder für sich bleiben, ein Gezwitscher im Frühling, Gequak im Sommer ist da, selbst wenn man, flussab der Stadt, den Ölhafen zur Seite hat, der mit der Raffinierie zur Seite weit größer ist als der Stadthafen, über den Poliander gern lächelt. Also die Auen, die Erlen, das Gewese, feucht und warm, was man im letzten Winter beinahe vergessen hätte, als spitzer Wind Eisschleier ins Gesicht trieb, nun, Mai, wieder feucht, sehr feucht, und wild schauen die abgebrochnen Riesen aus dem Gehölz.

Das Gewese wollte Herr Tulla abschaffen.

Herr Tulla drängt sich auf, mault Poliander, wir haben sein Denkmal doch links liegen lassen! Rechts, sage ich, denn wir sind flussab gefahren. Poliander seufzt: Johann Gottfried Tulla, wohlan! Seit wann redet Poliander gestelzt? Seit dem Ingenieur Tulla, wohlan also! Na gut, sage ich, also der Ingenieur Tulla, der kam 1770 in der noch jungen Stadt Karlsruhe zur Welt. Studiert hat er in Freiberg in Sachsen. Der Oberrhein, der Fließende also, floss  wie eh und je durch sein weiches Bett, und wie es ihm gefiel, änderte er seinen Weg in zahllosen  Schlaufen, teilte sich in kleinere Läufe, vereinigte sich wieder, überschwemmte das Land, bildete Arme und Ärmchen, Auen, feuchte Niederungen, führte mal hohes, mal niedriges Wasser, die Sonne schien schon damals wärmer als anderswo im deutschsprachigen Raum, Mücken brüteten, Fische nährten viele Leute in der Oberrheinebene. Dem Fluss gefiel’s, nicht aber dem Herrn Staat. Denn der Fluss war die Grenze, und was ist das Schlimmste für einen Staat?, fragt Poliander. Richtig, benickt er sich selbst, eine Grenze, die von selbst sich ändert, vor allem: der andren Seite plötzlich mehr Land zuträgt. Und von den Sümpfen, das sah Herr Tulla ganz recht, kam auch das Fieber. Herr Tulla fasste deshalb den Plan, den Rhein zu begradigen, dass sein Bett tiefer würde und härter und das Wasser schneller fließe, gut für die Schiffe. (Auch gut gegen das Fieber der Fischer, sagte Herr Tulla, doch die Fischer wollten lieber das Fieber ertragen, wenn ihnen nur auch der Fischfang blieb, unvernünftiges Volk, das essen will anstatt Ingenieursklugheit zu folgen.)

Wie Herr Tulla gesagt, so getan. Mit 18 großen Durchstichen wurde der Rhein verkürzt, zwischen Basel und Bingen um 81 Kilometer, getragen wurde dies vom bayrischen, vom badischen, vom hessischen Staat, Rheinhessen war grad rechtzeitig 1814/15 an das Großerzogtum Hessen gekommen. Mit Frankreich, später, doch solche Arbeiten dauern lang genug, dass es immer ein Später gibt, wurde ein Staatsvertrag geschlossen. Als 1817 der Durchstich in Knielingen begann und die Wälder geholzt wurden, begehrten die Fischer auf. Aber gegen den Widerstandsgeist der Badener hatte man auch in dem Jahr das Militär. Hochwässer hat der schnell fließende, vertiefte Fluss auch seitdem noch viele gebracht. Viele Häuser längs des Rheins zeigen die Marken, diesseits und jenseits. Nur in den Resten der Rheinschleifen verlaufen sich auch hohe Wasser, drum sind die nun geschützt und hüten das Gewese. Der Altrhein bildete Seen aus und tote Arme, und in denen, Gezwitscher, Gesang, Gekrächze und Gequak, und grad jetzt noch stehen die Gänse in kleinen Scharen am Rand und laufen eine der andern nach ins Wasser, wenn uns der Kies unter den Sohlen knirscht. Aber die großen Schiffe gäb’s ohne Herrn Tullas Plan nicht, sagt Poliander. Eben noch hast du dich über Tulla lustig gemacht, sag ich, drauf großspurig Poliander: Das sind eben die historischen Widersprüche.

Ob Herr Tulla je in Köln war, weiß ich nicht. Er starb 1828 an der Malaria und liegt auf dem Montmartre in Paris.

Koordinaten:
Denkmal für Tulla in der Maxau 49° 2′ 12.52″ N 8° 18′ 11.72″ O, Pegelstände Maxau
Altrhein Neuburgweier und Fermasee 48° 58′ 36″ N 8° 16′ 22″ O (Naturschutzgebiet mit Badestelle)
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Reisebrief
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