Das war im Herbstanfang, ich kam vom Meer, vom Wasser, aus dem Westen (von Abend, hätte Stifter geschrieben), auf gradem Weg von Brest nach Berlin, ins Urstromtal. Über sechs Prozent Berlins sind von Wasser bedeckt, das macht mehr Wasserfläche aus als die Venedigs, Amsterdams und Stockholms zusammengenommen. Aber Berlin liegt nicht am Meer, und die Spree ist ein Fluss, der keiner ist, der an warmen Tagen stehnbleibt, an heißen rückwärts zu fließen droht, zurück in den Wald, aus dem sie kam. Ehe sie die rettenden Gehölze erreichte, verschwände sie in Braunkohlegruben und träumte dort, sie wäre ein Meer. Ich ging ins Wasserwerk. Im Wasserwerk Tegel stand Frau Hildebrand, trug blauen Schmuck, schaute mit blauen Augen und hatte blonde Puschel aus Haar. Hätte Frau Hildebrand gewusst, wie nett wir sind, sie hätte Kaffee gemacht. Der Dichter, der Ingenieur, die Ingenieurin, das Baby, die zwei, deren Beruf ich nicht weiß, und die Schriftstellerinnen… Frau Hildebrand war Schulklassen gewöhnt, sie seufzte, aber lachte dabei. Die meerblaue Frau Hildebrand wusste alles vom Wasser. Wer auch alles wissen will, soll Frau Hildebrand fragen. Im Wasserwerk Friedrichshagen, demnächst.
Das Wasser zum Trinken kommt aus den Ufern. Berlin hat viele Ufer, viel Grundwasser, viel Sumpf, sogar unter den Häusern. Gewitter füttern den Sumpf, so kommt er zu uns in die Keller. Weil der Sumpf so dicht unter den Füßen liegt, sollen wir mehr Wasser trinken. Wir trinken, duschen, waschen, so viel wir können, an einem Durchschnittstag mit 580.000 Kubikmetern Wasser. Im Vortragsraum des Wasserwerks Tegel gab es kein Wasser. Aber da blieben wir auch nicht, sondern folgten Frau Hildebrand in die Schaltwarte. Die Männer, die dort über 20 Monitore wachten, waren ein Schichtleiter, ein Mitarbeiter, ein Portier. Unsichtbar blieben die Moderlieschen. Sie prüfen die Qualität des Trinkwassers am eigenen Leib und werden dabei von einem Fischbeauftragten beschützt. Aber ich wollte endlich das Wasser sehen.
Das Wasser in Berlin hat viel Kalzium, Eisen und viel Mangan. Deshalb ist es braun. Man kann es schon trinken, wenn es noch braun ist. Aber wie sieht das denn aus? Deshalb werden die Mineralien ausgefällt, mit Luftsauerstoff. Hinter einer Tür rauscht das Wasser, schäumt, steigt und fällt, man sieht es durch das Türfenster. Metallene Bäume aus Rohrleitungen wachsen senkrecht hinauf, statt der Zweige haben sie Öffnungen, aus denen Rohwasser spritzt. Eisen und Mangan bleiben noch im Strom, waren aber nicht mehr fest mit dem Wasser verbunden. Eine Etage tiefer sahen wir Becken, von Wänden geteilt, aus denen sprudelt das Wasser, wird durch Sand geleitet, der färbt sich braun mit der Zeit. Eisen und Mangan bleiben im Sand. Kreisläufe und Kreisläufe. Manchmal wird der Sand gespült, aber was dann mit dem herausgespülten Eisen und Mangan geschieht, muss jeder selbst fragen. Ich habe es vergessen. Nicht vergessen habe ich, wie das Wasser schmeckt. Denn wir gingen noch tiefer ins Werk, bis ins unterste Labyrinth der Rohre, und dort gab es zwei Hähne, einer für das Rohwasser, einer für das Trinkwasser. Wer das Rohwasser probiert, kann Eisen und Mangan herausschmecken.
Und jetzt aber schnell ins Freie! Denn mit wasserblauem Glas fangen die Leute vom Wasserwerk auch das Sonnenfeuer, dem filtern sie den Strom heraus. Ob das Zufall ist, wie sie sagen, weil sie doch grade so viel Platz hatten für all die Kollektoren, wer weiß.
Koordinaten: 52° 31′ 20″ N, 13° 17′ 51″ O und 34 Meter über dem Meer