Polianders Zeitreisen

Polianders Zeitreisen header image 1


In Auray

22.10.2009 · poliander

Nicht alle Austernfischer sind Vögel

Nicht alle Austernfischer sind Vögel

Als Poliander in Auray strandete, strandete sie mit einem Auto, meinem Begleiter und mir. Wir hatten uns an Kreisverkehre gewöhnt, die in Abständen von 200 Metern aufeinander folgten, Auray aber besaß sogar einen viereckigen Kreisverkehr. Poliander hatte mir im Nacken gesessen, während ich im Office du Tourisme im Gastgeberverzeichnis blätterte. Bei der Adresse von M.  et Mme. Le Serrec wurde sie unruhig, schon gut, sie hatte eine Nase für Ziele.

Während wir allerdings diesen quadratischen Kreisverkehr umrundeten und uns fragten, ob er als Kreisverkehr bezeichnet werden und ob man ihn umrunden durfte, also mitten in diesem quadratischen Kreisverkehr, begann mein Begleiter zu murren. Es war die richtige Straße, und sie sah aus wie eine Hauptstraße. Sicherheitshalber drehten wir noch ein Quadrat, aber es war die richtige Straße. Als wir dann auf dem Hof des Hauses standen, triumphierte Poliander. Das Quartier war ein Extrahaus, das Haus der Großmutter, hinter dem neuen Haus, und wenn uns in der Nacht etwas beunruhigen würde, dann allenfalls die Stille, denn die Straße hörte beim ersten Dämmerlicht auf, Hauptstraße zu sein. Mit den Großmüttern hatten sie’s hier, das hatte ich schon begriffen. Poliander interessierten die Großmütter nicht. Sie war fasziniert von M. Le Serrec, der groß und lang in seinen Pantoffeln stand und weit ausholte, um den Verkauf bretonischer Möbel nach China zu beschreiben, via Rotterdam. Ständig flüsterte Poliander mir ins Ohr, was ich noch fragen sollte. Erst als sie die geschnitzte Figur sah, die M. Le Serrec ins Zimmer gestellt hatte, war sie still. “Das hat er selbst gemacht”, sagte sie dann und bewunderte sich.

Am Sonnabend schickte uns M. Le Serrec zum Hafen, wo sie die Austern feierten. Das ist wieder so ein Touristending, sagte ich, ging aber mit. Vor der großen Kirche hielt eine Dame uns an: ob wir englisch sprächen. “Oui.” Wo ging es zu den Markthallen? “Regardez…”, wir zeigten es auf dem Plan. Ich setzte dreimal an, ehe mein Gehirn begriff, englisch? K. lachte über mich. “Les halles… sont… is closed now”, Sonnabend Nachmittag, um zwei. “Sure?” Sure. Ich staunte den Begleiter der Dame  an, nicht jung, aber in durchsichtigem weißen Hemd. Fror er nicht? Der Wind ging vom Meer, der Wind ging wie nur was. Was da in die Bucht rauschte, hieß Loch, wir gingen im Zickzack bergrunter und drauf zu. Eilig entleerte der Fluss die Gezeitenfracht in den Golf, aber so weit sahn wir nicht.  Der Hafen war alt, aber die Austernfischer neu, mindestens neu gestrichen, ungelenke Gestelle, die sich wer weiß wie über Wasser hielten. Zack! öffnete der Austernfischer die Auster, das Wunderding, vor ihm häuften sich die Schalen.  Hier gab es keine englischsprachigen Touristen oder wir sahn sie nicht. Die Austernfischer, die wir von der Nordsee kannten, eilige Vögel, hatten keine Saison in Auray. Die Leute aus Auray saßen in langen Reihen, aßen drei Sachen: Austern, Muscheln, Frites, und tranken Muscadet. Ein Mann legte die Muschelschalen säuberlich ineinander, wie Löffelchen. Eine Flasche Muscadet war gar nicht  so viel. Leute fingen an zu singen, plötzlich waren Bombarden da. Wir waren gern, wo die Musik spielt. Draußen fielen ein paar Regentropfen, der Kaffee ging aus, die Musik spielte, Zurufe der Leute. Ein Mann schob uns den Teller hin: probieren. Wir probierten, ohne zu erkennen, was, salzige Paste. Die Musik spielte wilder. Ich brauchte Bewegung. Wir bedankten uns, gingen die Bucht hinunter, Ebbe war, der Loch ein rasches Rinnsal zwischen fetten Schlickpolstern. Als wir zurückkehrten, öffneten Frauen Austern um die Wette, Marie-Claire, Pascale, Vivienne und Danielle. Eifer, zwei Dutzend Austern auf schnellstem Weg tödlich zu verwunden. Der  Zauber war hin. Danielle verletzte sich, und ihr Blut floss in die Auster. Sie wurde disqualifiziert, es begann zu regnen, ich ging in der Menge verloren. Poliander, rief ich, und K.! Fand sie nicht, eilte die Treppe hinauf nach Saint-Goustan, fand sie nicht, auch nicht in Saint-Sauveur. Zeit verging zwischen Mauern, aus denen Grünzeug quoll. Unten, auf der Brücke beugten Leute sich über den Loch. Die Gezeiten hatten gewechselt, Meer trieb mit Gewalt den flussauf, Strömung saugte sich durchs Flussbett und strudelte um die Brückenpfeiler. Sechs Jugendliche waren mit Kanus den Fluss herabgekommen und hielten sich an der Hafenmauer. Sie mussten raus, rechts unterhalb der Brücke, doch der Strom war gegen sie. Aufregung und Neugier, die Leute schauten, die Kanuten beobachteten die Strömung und rannten mit ihren Booten dagegen. Hier, hier, dicht am Pfeiler, nicht ganz so dicht!, dreimal anrennen, geschickter einfahren, wilder paddeln, einmal, dreimal, schließlich durch. Ein  Junge ließ sich mutwilig zurücktreiben, er machte es nochmal und nochmal. Genug geguckt?, sagt K. hinter mir, und Poliander legte mir die Hand auf den Arm. Nie, sagte ich, lass uns schauen, wo die Musik spielt. Das Meer flutete den Fluss wie Lust die Adern.

Koordinaten: Auray, September 2009.

Erregung
· ·