Polianders Zeitreisen

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Kranz oder Krone (56) – Baumglück und die Erinnerung an eine Kommandantura

29.05.2020 · poliander

Blick aus dem Fenster: Die voll ergrünten Bäume verhindern den Blick auf das Gerüst dort drüben, am Ende der Straße, oben, unten, schräg gegenüber. Ach, draußen sein!

Geräusch: Klappern und Schlagen von Metall auf Metall zeigt an, was geschieht: Das Gerüst, das am Anfang des „Lockdowns“ aufgebaut wurde, wird nun abgebaut. Das Dach ist repariert, sieht aus wie neu. P. und der Gefährte hoffen nur, dass die Fledermäuse, deren es viele gibt in der kleinen Straße, weiterhin in den Dächern wohnen und in der Dämmerung durch die Luft flitzen. Drinnen sein können und draußen sein, auch die Flügelmäuse.

Keine Trugschlüsse: Es ist noch nicht vorbei.

Das grüne Kleid der Linden ist schütterer als im vergangenen Jahr, große Stücke fehlen im Flickwerk auf Ästen und Zweigen. Das dritte Jahr im Regenmangel setzt den Stadtbäumen zu, nicht fünf, nicht zehn, Hunderte und Tausende Liter Wasser stehen im Minus.

Keine Trugschlüsse. Gute Schlüsse sind Güsse! Und wo es Vorgärtlein gibt, am besten nicht auf die viel zu kleinen trockenen Baumscheiben gießen, sondern in die Vorgartenflächen hinein, unter die die Bäume ihre Füße stecken, das gute, saugfähige Wurzelwerk, das nach Feuchtigkeit lechzt.

Draußen sein: Am Himmelfahrtswochenende spazierten der Gefährte und P. durch Dahlem, durch den Südwesten von Berlin, auf der Suche nach dem Gebäude der einstigen Alliierten Kommandantura. Wind ging, aber feste! Scharfe Luft, wie oft in der Stadt, in der märkischen Sandbüchse. Pollen tanzten auf Nasen, Staub verirrte sich hinter Brillen. Als zwischen Habelschwerdter und Thielallee, zwischen Thielpark, Corrensplatz und Triestpark ein Gebäude mit kräftig besäultem Portikus, aber recht bescheidenen Ziegelbändern auftauchte, fragten wir uns: Das da etwa?

Hatten wir doch im Umfeld so manches Gebäude gesehen, das repräsentativer wirkte. Das hier, Kaiserswerther Str. 16 bis 18, auf den ersten Blick erschien es großmäulig und schmallippig zugleich. Zudem: War das Ding nicht ein wenig unterdimensioniert, um das oberste Machtgremium der vier alliierten Besatzungsmächte Berlins zu sein? Doch wie vieles, was in den späten 1920er Jahren – hier 1926 bis 1927 – gebaut wurde, enthüllt seine Eleganz sich auf den zweiten Blick.

Ehemals saß im Gebäude, das der Architekt Heinrich Straumer baute, der Verband der öffentlichen Feuerversicherungsanstalten. Innen soll es Art déco geben, sogar viel davon, „überbordend“ steht in der Landesdenkmalliste. Wir sind: draußen.

Gut, ein bisschen vernachlässigt, Jalousie unten, Jalousie oben. Wir sind in Berlin. Und heute befindet sich in diesem Gebäude keine Kommandantur mehr, sondern das Präsidialamt der Freien Universität. Da beweist ja bereits der Name, dass es so preußisch nicht zugehen kann. Aber das Detail, Material, Form, Proportion. Na? Übers verschnörkelte Törchen am Zugang sieht der Fotoapparat glatt hinweg, das zeigen wir nicht, das muss wohl eine Schreberseele hier angeordnet haben.

Nun die Alliierte Kommandantura: Schon 1944 hatten die Alliierten beschlossen, Berlin gemeinsam zu besetzen und eine gemeinsame Regierungsbehörde, eben eine Kommandantura zu bilden. Inmitten der sowjetisch besetzten Zone bekam das besetzte Berlin einen besonderen Status, besetzt von vier Mächten und übrigens demilitarisiert, letzteres allerdings bald nur noch in den Westsektoren der Stadt.

Zunächst tagte die Alliierte Kommandantur in der sowjetischen Zentralkommandantur. Dann aber zog die gemeinsame Kommandantura nach Dahlem in ein eigenes, in dieses Gebäude. Warum es gewählt wurde? Wer weiß. Die Stadt war zerstört, in Dahlem war sicher einiges mehr erhalten geblieben als in vielen anderen Bezirken. Hier regierte die Kommandantura aus vier Alliierten von 1945 bis 1948, nämlich bis zu dem Tag, als man sich nicht über eine gemeinsame Währungsreform einigen konnte. Die einseitige Währungsreform der drei Westmächte führte letztlich dazu, dass Sowjetunion zuerst den Alliierten Kontrollrat, dann auch die Kommandantura verließ. Über die in jeder Hinsicht für Berlin und Deutschland folgenreiche Währungsreform kann die Berlinerin noch einmal extra trauern, schon, weil zunächst diskutiert worden war, in ganz Berlin die „Bärenmark“ einzuführen. Statt dieser charmanten Tierwährung kam die DM im Westen, eine eigene Währung im Osten und die Blockade. (Also, die West-Berliner!nnen mit ihrer Blockade, das ist eine extra Geschichte, die lassen wir hier… draußen.)

Regiert haben die Alliierten mit ihren „Anordnungen an den Berliner Magistrat und an den Oberbürgermeister“. Das Wort „Magistrat“ scheint gemeinsam mit dem sowjetischen Stadtkommandanten Alexander Kotikow abhanden gekommen zu sein. Später hieß die Stadtregierung nur noch im sowjetischen Sektor Magistrat, im Westen Senat. Später hatten die Beschlüsse der Alliierten Kommandantur, die de facto nur noch aus drei Alliierten bestand, de facto auch nur noch Wirkung in West-Berlin.

Seitdem die Sowjetunion raus war aus der Kommandantura, blieb der vierte Fahnenmast vor dem Gebäude genauso leer wie drinnen der Stuhl des sowjetischen Vertreters. Im Alliierten Kontrollrat übrigens wartete man seit dem Auszug des sowjetischen Vertreters 1951 immer ein paar Minuten, ob er nicht doch noch erschiene. Aber das kam nicht mehr vor. Die Geschichte des Alliierten-Kontrollrats-Gebäudes am Kleistpark, nämlich des Kammergerichts, ist eine wahrhaft deutsche, wahrhaft schreckliche Geschichte. Die erzählt P. eines Tages auch noch.

Es sind so viele Geschichten zu erzählen. Nicht dass P. irgend etwas Gutes an Corona fände, in das Geraune von der „Krise als Chance“ stimmt P. keineswegs ein. Irgendwann hätten P. und der Gefährte sich so oder so nach Dahlem begeben, um die Alliierte Kommandantura zu suchen und sie zu finden. Nun also jetzt.

Die Stadt ist trocken, die Bäume warten auf einen Guss, egal, ob Corona ist oder nicht. Das Glück der Bäume besteht aus der Balance von Sonne und Regen, aus dem Gleichgewicht von Licht und Wasser. Wir Glücklichen können das Wasser geben.

Also, liebe Leser!nnen, und dann frohe Pfingsten!

Koordinaten 1: Alliierte Kommandantura, Verbandshaus der öffentlichen Feuerversicherungsanstalten in der Landesdenkmalliste.

Literatur:
Andreas Hallen /Bernhard Müller (Hrsg.), Berlin zu Fuß. Hamburg: VSA-Verlag 1987
Martin Wörner u.a., Architekturführer Berlin. Berlin: Reimer, 7., erweiterte und überarbeitete Auflage 2013

Koordinaten 2: 180.458 (Zahl laut Robert-Koch-Institut vom 24. Mai 2020, 0 Uhr, online aktualisiert 8 Uhr. Der Anstieg gegenüber dem Vortag beinhalte auch 240 Fälle aus einem Landkreis von Baden-Württemberg die am 27. Mai fälschlich nicht berücksichtig worden waren. Aus Sachsen und dem Saarland sei eine Summe übermittelt worden, die niedriger sei als die vom Vortag. Dies werde geprüft und ggf. korrigiert.) Genesene: 163.200 (vom RKI geschätzte Zahl laut Lagebericht vom 28. Mai 2020)

Kranz oder Krone
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