Manchmal kommt schon so ein Knistern hoch, ein Krispeln und Raspeln, ein kleiner Streit.
Die Hummel, brummend wie ein Rettungshubschrauber, verirrt sich hinter die offene Balkontür. „Na komm“, lockt Poliander, „geh raus, nein, nicht dahin, das ist doch eine Glasscheibe, du Dumme, hier entlang, ja, so ist’s gut, NEIN, nicht zurück! Da tust du dir doch weh, das ist hart, also jetzt aber, gut so, ja, hier lang, hachachachach, hör doch, du Tier! Ja, jetzt ist’s besser, da ist die frische Luft, genau, da willst du hin, also, na bitte, bravo!“
P. redet mit der Hummel wie mit einem kranken Pferd.
Die Zitronenduftverbene kennt keine Müdigkeit. Sie treibt aus verholzten Zweigresten.
Der Gefährte bringt Holunderbeereis aus dem Supermarkt mit, wo kommt das denn her? Na so was, aus dem Wedding. Wir kommen da jetzt nicht hin, aber das Eis zu uns. Na bravo! Reg dich nicht auf, schau mal, probier doch mal. Genau.
Wir gehen miteinander um, als wären wir irgendwie angeschlagen.
Ein Bekleidungsversand bietet die „besten Looks für’s Homeoffice“ an. (Spinnen die?) Ja, dem Kapitalismus fiel noch immer was ein, uns zum Kaufen zu bringen. (Da sind wir jetzt mal nicht so gnädig.) Für den Versand, dessen Namen wir diskret im Dunklen lassen, ist’s schade: Wir tragen unsere normale Arbeitskleidung auf, und wir stehen auch mal bei der Arbeit, da wird die Hose nicht gar so schnell durchgewetzt.
Wir streiten ein wenig, wer die bestellten Bücher im Laden abholen darf. Bewegung, ein Luxusgut? Bücher, der moralisch gerechtfertigte Konsum! Regalmeter und Wohnraumquadratmeter setzen Grenzen, die wir jetzt gern überschritten.
Überm Buch (siehe alle Sonntagstipps aus dem Office) schlafen wir nicht so schnell ein, nur für Fernsehkrimis sind wir wieder mal zu müde.
Wenn’s kriselt, lenken wir ein, und wenn eine Mail uns ärgert, antworten wir nicht alles, was wir denken. Manchmal auch ganz gut so, oder was meinen Sie?
Palin schon wieder eine E-Mail, aber was, guck doch mal da, was steht da? Botanischer Garten Berlin bereitet Öffnung vor: „Termin der Wiederöffnung der Freilandanlagen wird am nächsten Montag bekanntgegeben.“ Kinder, warum sagt Ihr’s nicht schon heute, wir würden uns so freun.
Irgendwo in der Tiefe wetzt die Geduld ein Messerchen, und wenn es dann aus der Hosentasche fällt, schneidet die geduldige Geduld eine Blutorange auf. Ah, Vitamin C! Der Saft läuft ihr die Mundwinkel hinunter.
Aber wir freun uns ja.
Moralische Übermüdung, sagt die Psychologin Ramani Durvasula, sei ein gutes Zeichen: Menschen, die darunter leiden, haben einen moralischen Kompass. (Mehr lesen und hören hier beim DLF.) Soll P. sich jetzt freuen, wenn sie müde ist?
Und jetzt, liebe Leserin, wie wäre es mit einem Mittagsschlaf? Oder doch lieber ein Kaffee, in dem der Löffel steht?
Koordinaten 1: 145.694 (Zahl laut RKI vom Zeitpunkt 22. April 2020, 0 Uhr, online aktualisiert um 7:45 Uhr. Aufgrund technischer Probleme seien am 21. April 2020 am RKI keine Daten aus Hamburg empfangen worden.) Genesene : 95.200 (vom RKI geschätzte Zahl laut Lagebericht vom 21. April 2020)
Koordinaten 2: Warum die Coronakrise ermüdet. Gutes Interview beim DLF, nicht dauerhaft online.
Foto: © Ulrike Gramann