Nachrichten kreisen durchs Homeoffice.
Geräusch: Weckerpiepen, während P. sich im Bad Hände und Füße eincremt.
Gefährte: Dein Wecker piept!
P.: Ja.
G.: Mach mal aus.
P.: Kannich, mach du.
G.: (…)
P.: Bitte.
Geräusch: Stille.
Blick aus dem Fenster: nichts.
Wir kennen die Nachrichten, ehe wir das Radio einschalten. Oder … vielleicht doch nicht. Zum Beispiel kurz vor 7, ein Mönch erklärt die Welt. Er sei der erfolgreichste christliche Buchautor Deutschlands, sagt der Moderator. Lebenshilfe aus berufenem Munde, hofft P. (Sie haben recht, liebe Leserin, P. glaubt in Wahrheit: Lebenshilfe instant – das kann ja nix werden.) Verlangsamung könne auch eine Chance sein, sagt der Mönch, doch wenn er jetzt nur noch langsam dahintrödle, sei das auch nicht unbedingt sinnvoll. Und so hat er bereits zackzack in vier Tagen ein Buch über Quarantäne geschrieben. P. wird ob dieser Geschäftstüchtigket ein bisschen aggressiv. Dafür gibt es umgehend Rat: Durch Aggression komme nur Streit. Aggression bedeute, man brauche jetzt mal Zeit für sich und ginge dann eben mal spazieren.
Aber P. war heute schon. Die Aggression muss anders raus.
Die Aggression kam auch anders rein, und das hatte gar nichts mit dem Erfolgsmönch zu tun. Vor Tagen schon war nämlich die Rede davon gewesen, die wegen der Corona-Epidemie abgesagte Bundesliga müsse nun aber doch die Saison zu Ende spielen, notfalls eben in „Geisterspielen“. Es sei dringend, würden doch bereits die Gehälter der Profis reduziert. (An dieser Stelle legen alle Selbständigen eine Schweigeminute ein.) Spätestens nach dem 30. April müsste es aber weitergehen, wenn man die Saison bis zum 30. Juni noch schaffen wolle. Die Notfallpläne für den Fall, wenn nicht, blieben vorerst in der Schublade. (Falls es eines Beweises bedürfte, dass P. sich nicht nur für Frauen-, sondern auch für Männerfußball interessiert, hiermit ist er geliefert.)
Nun die Nachricht von heute: Die für November geplante Weltklimakonferenz in Glasgow wird epidemiehalber verschoben.
November? November!
Ein neuer Termin im Jahr 2021 steht nach dem Bericht von tagesschau.de noch nicht fest. Er werde später bekanntgegeben.
Wie war das noch mal? Auf der UN-Weltklimakonferenz in Glasgow sollten 30.000 Teilnehmer!nnen, darunter 200 Regierungschefs darüber beraten, wie das Pariser Klimaziel von 2015, nämlich die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen, eventuell doch noch eingehalten werden könnte.
Schon klar: Corona. Wie sollen die denn dann alle nach Glasgow fliegen?
Selbst die Bundesumweltministerin erklärt bei dieser Gelegenheit, falsche Schlüsse aus der Coronakrise dürfe man nicht ziehen (ebenfalls laut tagesschau.de). Zwar gingen die Emissionen vonTreibhausgas derzeit zurück, doch sei dies nicht nachhaltig. (Wohl wahr. Der Aufschwung wird fürs Klima umso schlimmer.) Für immer Wirtschaftskrise sei auch keine Lösung, damit hat, mag sein, die Bundesumweltministerin auch wieder recht.
Nachhaltige Lösungen sind angesagt. Wie wär’s, die 30.000 träfen sich in virtuellen Arbeitsgruppen, die am Ende ihre Ergebnisse auf virtuellem Wege publizieren? Wie wärs, 30.000 Teilnehmer!nnen, darunter 200 Regierungschefs verzichteten auf den allseits (Klima, Gesundheit, Tierwelt) schädigenden Flug nach Glasgow und verständigten sich miteinander per Videokonferenz, Telefon, Fax und im Umlaufverfahren? Und zwar weil die Zeit drängt.
Das geht nicht? Poliander findet das mehr als nur geisterhaft. Das ist gespenstisch.
Wir müssen dringend lüften.
Wir müssen was klären, unser Leben ändern. Der Wecker hat längst gepiept.
Blick vom Balkon: Ein Kind mit grünem Helm saust auf einem Fahrrädchen den leeren Bürgersteig entlang, dabei mit jeder Pedalrunde lustvoll selbstanfeuernde Schreie abgebend.
Zukunft.
Koordinaten 1: 73.522 (Zahl laut RKI vom Zeitpunkt 2. April 2020, 0 Uhr, online aktualisiert um 8:10 Uhr)
Koordinaten 2: Interview beim DLF dazu, was Viren, Weltklima und unsere Lebensweise miteinander zu tun haben und warum die Länder der Welt sich koordinieren müssen.
Nachbemerkung: Ja, bis dahin (Ende April, November, „irgendwann 2021“) können wir auch auf eigene Faust was ändern. Checken Sie Ihre CO2-Bilanz. Und checken Sie Ihre Privilegien.
(P. tut es auch.)