Polianders Zeitreisen

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Kranz oder Krone (11) – Zeit out of office

28.03.2020 · poliander

Auf dem Morgenweg sind die Beine schwer, egal, was sonst ist, wir haben Frühlingsmüdigkeit. Vielleicht sind wir gestern auch einfach zu lange gelaufen, durch stille Seitenstraßen, ein paar Schritte durch den einen Park oder den anderen. Es gab Grüppchen, die beim näheren Hinsehen stets aus zwei Erziehungsberechtigten bestanden und ein, zwei, selten drei Kindern.

Ein Mädchen kroch eine Böschung am Rand des Parks hoch, jedesmal wenn sie fast oben war, am Weg, ließ sie sich bäuchlings sowie rückwärts die winzige Anhöhe wieder herunterrutschen, von dem jungen Mann, der sie dort auffing, hochhob, herumschwang, sie stets anspornte, es noch einmal zu versuchen. Die Kleine jauchzte vor Vergnügen, die nahebei im Gras sitzende schwangere Frau, wohl ihre Mutter, lachte.

Was sind zwei Wochen? Für P.? Für ein kleines Mädchen, das der Zeit gerade erst begegnet?

Wir gingen, bis es kühl wurde.

Heute wird die Zeit umgestellt. Wohin stellt man sie um? Stellt man sie überhaupt?

In Wahrheit heißt die Zeit morgen nur anders.

Elf Tage zu zweit im Homeoffice. Der tägliche Gang hinaus, ab und zu ein Gang zum Wochenmarkt. Das Alltägliche wird zum Ereignis. Die Zeit vergeht langsamer im Gleichmaß der Tage.

Ob das in den Klöstern des Mittelalters auch so war? Die Gebetszeiten gliederten den Tag und die Nacht. Matutin, Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper, Komplet.

Warum denken wir an ein Kloster? Wir haben den Tag und seine Beschäftigungen doch selbst gegliedert.

Wir spüren die Zeit stärker, auch ihr Bleiben, nicht nur ihr Vergehn.

Zahnputz am Morgen, Zahnputz am Abend. Nachrichten hören am Morgen, Nachrichten checken am Mittag. Arbeit am Vormittag, Arbeit am Nachmittag. Weg am Vormittag, Weg am Nachmittag. Im sonnigen Mittag ein Kaffee auf dem Balkon. Frühstück und Abendbrot.

Man könnte das mehr auffächern, mehr wiederkehrende Tätigkeiten einfügen. Wir gehen nirgendwohin, das heißt: nirgendwohin extra, sondern immer ums Haus. Was sich ändert von Tag zu Tag, ist die Kommunikation. Wer anruft. Wen wir anrufen. Wer schreibt, mailt, Nachricht schickt. Wir halten Kontakt mit den anderen, die auch ins Homeoffice gezwungen sind.

Was sich ändert von Tag zu Tag, ist das Schöne. Was gleich bleibt, ist auch nicht immer schlecht. Gleiche Straße, neu aufgegangenes Blattwerk am Zaun. Gestern blühte dieser Baum noch nicht. Morgen werden die Blüten nass. Wenn der Wetterbericht stimmt.

Aber Menschen in Klöstern gehen (gingen) sehr oft sehr wohl raus. Je nachdem. Arbeit, Besuche, Kommunikation. Das ist es nämlich nicht.

Es ist die Frühlingsmüdigkeit.

Sonnabend. Etwas ist anders. Wir sind out of office.

Koordinaten: 48.582 (Zahl laut RKI vom Zeitpunkt 28. März 2020, 0 Uhr, online aktualisiert um 10.10 Uhr. Am 27. März seien keine Daten aus Sachsen-Anhalt übermittelt worden.)

Kranz oder Krone
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