Polianders Zeitreisen

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Lentze

01.08.2017 · poliander

Ausstellungseinladung

Ausstellung im MPI, Lentzeallee, Berlin-Schmargendorf

Südwesten, da denkt eine Zehlendorf, Dahlem, ganz zuletzt Schmargendorf. Schmargendorf, ist das ein Dorf? Zugezogene kennen es vom Wegsehn, keiner kennt keine, die da wohnen, sprich alle kennen niemanden dort. Schmargendorf ist das Dorf zwischen Versuchsfeld und Grunewald, die Zugezogenen sagen: Ist das nicht so ein Vorort, Randstadt oder Stadtrand? Wer wohnt denn da?  Schmargendorf, Altwestberlin, die Lentzeallee führt rein, sonntagmorgens liegt sie still, Ehepaare walken vorbei, einsame Jogger auf dem Trampelpfad in Straßenmitte. Bis 1999 war hier das BESSY, lassen Sie das mal von ner Maschine suchen, liebe Leserin, Sie werden staunen: heute das Eichamt, so was gibt’s, wussten Sie das? Aber bleiben Sie nicht im Internet, gehen Sie doch wirklich mal hin, allerdings am Eichamt vorbei, weiter rein in die Allee bis zum Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Ist nicht weit, und ja, das gibt’s, ein Gebäude, in dem Sie vor lauter Treppen, Ebenen, Steigungen die Stockwerke vor Augen nicht sehen. Gehen Sie rauf, gehen Sie runter, Ameise oder Fußgängerin, ein echtes M.-C.-Escher-Gefühl, von jeder Stufe eine andere Aussicht, auf jedem Absatz nun wirklich der schönste Platz, jede Fensteröffnung mit dem besten Ausblick auf Stadt, auf Grünes, auf Himmel, we see only the reflection on the Open, / which our presence darkens (Rilke / Snow), wir sind in Berlin. Ja, Ihr Lieben, das Haus ist aus Beton, na sicher doch: Es kommt drauf an, was man draus macht!, oder dachten Sie, das wär ironisch? Drum herum ein Garten mit so vielen Pflanzen, dass mehr nur ein botanischer Garten haben kann. Der locus amoenus bleibt ein Bild, das Sie durchs Fenster nur sehen, er ist umfriedet, geschlossen: Am lieblichen Ort weilen die am MPI arbeiten, außerdem Vögel, Insekten, andres kleines Getier. Nur kein Neid, Leserin, Leser, gehen Sie doch nachher noch zum botanischen Garten, nicht weit von hier.

Warum P. grade jetzt vom MPI anfangen muss? Wegen dieser Ausstellung, die so vollkommen mit dem Gebäude zusammen/passt/spielt/sich fügt. Gehen Sie bald hin, ehe das Gebäude wieder nur auf sich verweist. (Oder auch dann.)

Rilke: Mit allen Augen sieht die Kreatur das Offene.
Kreatur: du, Sie, P. und ich. Das Offene: man sieht es hier von jedem Ort. Und während das Grüne durch die Öffnungen ins Freie hereinschaut, das Blau, finden P. und ich und Sie auf jedem Absatz, auf jeder eben den besten Blick für das liebste Bild. Grafik: Schwarz / Weiß, Farbe / Farbe. Strukturen und Splitter, auf jeder Wand der am meisten geeignete Ort für die dazu stimmende Grafik. Benabu, Franke-Gneuß, Sie sehen gleich, Leserin, Betrachter, wie die Arbeiten miteinander gehen. Der Schöpfung immer zugewendet, / sehn wir nur auf ihr die Spiegelung des Frein, / von uns verdunkelt. Und mit dem Haus. Gehen. Zusammen.

P., erstaunt, kann Rilke nun doch wieder mögen, wie zuletzt, mit 21, als P. Malte Laurids Brigge las.

Das Freie, ins Fenster herein gespiegelt, die Welt. Offenheit heißt hier nicht, stets auf Bäume zu schauen, stets nur Natur zu malen. Menschenwerk ist Gemachtes, Grafik ist doch Technik, in Technik ist Natur verwirk/verbildlicht. Beyond the loved on, as if by accident, / the realm is glimpsed. Sehen Sie doch selbst: But no one / gets beyond the other, and so World returns again.

Ja, hier sieht man Lieblingsbilder. Zuhauf.

Koordinaten: 52° 28′ 6” N, 13° 18′ 14” O, Kerstin Franke-Gneuß, Talia Benabu. Architektur im MPI für Bildungsforschung. Alle kursiv gesetzten Textstellen aus Rilkes achter Duineser Elegie, englischsprachige Stellen aus der achten Duineser Elegie folgen der Übersetzung von Edward Snow, zitiert nach Talia Benabu.

Augenweide
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