Polianders Zeitreisen

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Kunst und Landwirtschaft geballt in Zehlendorf

12.08.2015 · poliander

Stroh aus Kunst. Detail. Foto: Meyer-Gramann

Beutlers Stroh aus Kunst. (Foto: Meyer-Gramann)

Liebe Erhitzte,

Hundstage und Schnuppennächte! Wir waren noch in keinem Land, in dem wir sie nicht gesehen haben, geschweige denn, dass wir in einem bundesdeutschen Bundesland gewesen wären, wo wir sie hätten vermissen müssen: Ballen. Kein landwirtschaftliches Produkt oder Zwischenprodukt ist näher an der Kunst als: Ballen. Ballen aus Stroh, je nach Verwendungszweck ummantelt mit durchlässigem Netz oder undurchdringlich scheinender Folie. In Island schienen sie P. und mir außerirdisch, wir hatten nicht mit soviel Landwirtschaft gerechnet, nicht gemeint, dort schneeweiß ummantelte Ballen zu entdecken auf grünen Wiesen, unter denen Lava kocht. Und sie machten die grandiose, kuriose,  außerirdische Szenerie gar nicht kaputt. In Baden-Württemberg und Niedersachsen sieht man sie so oft wie Windräder oder öfter, sie erscheinen uns alltäglich, nicht banal. Am liebsten, ehrlich mal, sind uns die vergessenen Einzelballen, an einem Feldrain, schräg hinterm Klärwerk oder fremd an Waldrändern. In ihnen modert es, gärt es, und platzt die Folie, erweist sich das Innere, ein landwirtschaftlicher Abfall, der bis eben seiner Weiterverwertung harrte, als fruchtbar fürs Chaos: Da wächst noch immer was. Sogar aus Ballen in der Wüste, wo wir sie auch schon sahen, gut, es war am Rand einer Oase, wir geben es zu, sogar aus denen kann noch was wachsen, Wachstum geschieht auch in Hitze und Trockenheit.

Dies ist ein Sommerbrief.

Es war ein heißer Sommertag, und bald (am 16. August nämlich) ist auch schon die Ausstellung vorbei: Nezaket Ekici: Alles, was man besitzt, besitzt auch uns. Also nichts wie hin, zum Haus am Waldsee, in angemessener Annäherung mit dem manchmal schönsten, meistens nützlichsten Besitz der Städterin, dem Fahrrad, um Ekicis Küsse auf den Dingen, die sie besitzt, zu sehen. Eilen Sie, LeserInnen, diese Küsse zu sehen und die Schrift, die aus Flüssen heißen Kaffees hervorgetreten ist, der 16. August ist näher, als Sie denken in der trägen Allgegenwart dieses Augusts. Und kühlen Sie sich am Anblick jener Familie, die angezogen in der Badewanne sitzend, in der Schwemme, Karten spielt, während das Wasser langsam die Wanne füllt, bis schließlich die Karten darin zu schwimmen beginnen.

Kunst und Ballenpresse. Foto: Meyer-Gramann

Kunst in Ballen gepresst. (Foto: Meyer-Gramann)

Aber nicht davon zu erzählen nötigt mich P., sondern von den Strohballen, die im Garten des Waldsee-Hauses lagern, für länger oder immer, bis sie eines Tages in die Landschaft übergehn, im Skulpturenpark. Die Landschaft wird in sie hineinwachsen, doch im Augenblick ist das noch nicht geschehen. Kunst ist, dem Klassikerspruch entgegen, nur selten heiter, lustig beinah nie. Aber hier. Die bunten Ballen machen gar nicht traurig (und Ekici, übrigens, hat uns auch nicht traurig gemacht). Wir gehen nicht zum Lachen in den Sanitärbereich, sondern fragen an der Kasse nach, ob die Ballen denn wirklich mit einer ganz gewöhnlichen Ballenpresse wie, sagen wir: der, der oder einer, wie sie hier sichtbar ist in Aktion, gemacht wurden. Und bekommen Antwort. Welche? Also bitte, liebe Kunstliebende und Landwirtschaftsproduktenutzende (oder etwa nicht?), nehmen Sie einfach auch mal Ihr Fahrrad und besitzen Sie es, während Sie zum Haus am Waldsee fahren. Schauen sie, wenn sie nur schnell genug eilen, unbedingt bei Nezaket Ekici vorbei. Von den bunten Ballen besitzen Sie dann, was?, den? Anblick.

Schwimmen dann auch. Nicht im HausamWaldsee-Waldsee, sondern im Wald-See. Im Wald. Aber, meine Lieben, Sie kennen sicher auch einen.

Freundlich grüßen einstweilen: P., G. und Gefährte

Koordinaten: 52° 26′ 32” N, 13° 14′ 18” O, Haus am Waldsee, Michael Beutlers Ballen im Skulturenpark, Nezaket Ekici.

Reisebrief
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