Polianders Zeitreisen

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Die Füchse im Sommer

08.07.2015 · poliander

Draußen der Tag

Draußen der Tag

Ehe die Goldruten kommen Anfang August, blühen die Linden. So oft wir umziehen in dieser Stadt, jedes Mal: die Linden da draußen. Ein Flirren, blassblauer Himmel, der ins Gelbe scheint, weiß zu glühen beginnt schon gegen zehn. Braunes Mehl unter Linden treibt zusammen wie Schnee, Papierstücke rollen dahin. Blütenrispen sinken zusammen den lieben heißen Tag, warte, sagt P., mit dem Wasser, später am Abend, wenn die Temperatur sinkt, kann es ihre Adern fülln. Morgens stehn die Blätter stramm. Telefone klingeln mit irren Zumutungen.

Wir sind in Preußen, wo nie ein laues Lüftchen weht, nicht wie zwischen den milden Hügeln hinter S.roda, wo der Nebel frühmorgens nur schwer hochkommt und ganztägig Lüge wohnt. Der Wind in Preußen ist schneidend kalt oder fauchheiß, und die Linde ist der Baum der preußischen Städte, und jene Sommertage, an denen ihr Seifengeruch durch die Straße fließt und sich zwischen die Lider setzt und auf die Zunge, erinnern uns ans kontinentale Klima, denn mit großem heimlichen Stolz sagen es hier alle einmal: Man glaubt’s nicht, aber wir haben in Berlin ein irres kontinentales Klima.

P., liebste Gefährtin im Tastenbetrieb, manche Buchstaben hast du stärker durchgeschrieben als die andern, sage Worte mit x, Worte mit ä, schreib Worte mit q- Wenn das Wetter heiß ist, sind die verirrten Seelen auch alle unterwegs, obwohl doch jetzt wirklich die Zeit wäre, dass sie ausruhen auf den grünen Wiesen im Schlosspark und den Fussballspielern lauschen. Doch ein anderes Thema kommt auf in diesen Lindentagen, das will auserzählt werden, und P. fragt sich, ob nicht doch Lyrik- Lyrik?

Die Schlaflosen im Haus hören Musik, wir sind alle ganz beschwerdefrei. Und die Füchse haben ihre Jungen in die Rosen pissen lassen, sagt einer mit grünem Hemd, die Rosen haben braune Flecken bekommen durch diesen Mangel an Disziplin, das muss er ja sagen. Denn: Wir sind doch in Preußen. P. grinst, denn: Die Füchse haben eine gute Lobby in unserem Hinterhof, einige unter uns, die würden ihnen Tunnel graben, im Fall eines Falles, notfalls würden wir alle die Kassiber der Füchse aus ihren Verliesen transportieren und ihnen Mäuse zutragen in der hohlen Hand. Aber es wird soweit nicht  kommen, wir lieben sie doch, die eleganten Läufer, deren Füße im Sommer nicht einmal Spuren schreiben. Oder, sagen wir: Wir jedenfalls können sie nicht lesen.

Nun treffen irre E-Mails ein, P. legt den Finger auf DEL!, leichter Druck genügt, der Sommer ist ein Irrenhaus, P. steckt die Füße in einen Eimer kaltes Wasser, je wärmer es ist, desto leichter fällt es P., die Tasten in Betrieb zu halten. Der Geruch der Linden fließt im trägen Schweiß, die Finger fließen durch die Tasten ins Innere des Rechners, und P. wundert sich zum ersten Mal, dass das Rechner heißt, wo es doch ein Schreiber ist. P. liebt Gewitter und bedauert es trotzdem, das Aufkommen der dunkelgrauen Wolken und wie der Wind später die Lindenzweige peitscht, erst das flotte Springen der Wassermänner auf dem Asphalt sieht P. beseligt, jetzt reißen wir alle die Fenster auf, Blitz und Donner im selben Moment, warum, fragen wir uns glücklich, warum schreiben wir neuerdings über das Wetter?

Mit jedem Gewitter gehen mehr Lindenblüten zu Boden, die ersten Sonnenminuten schon treiben sie zu gelben Wehen, die sammeln sich am Mäuerchen des Vorgartens, jenseits, und zum Haus hin wird das struppige Gras jeden Tag blasser. Unbeirrt trinken wir Städter brühheißen Coffeetogo. In der U-Bahn sitzt sie mir gegenüber, Kassandra mit dem sorgfältig gebügelten, viel zu weiten Trenchcoat, Kassandra schwitzt nicht, sie redet in den fiesen Luftzug hinein, der zwischen den schrägstehenden Festerklappen zieht, ihre Stimme ist schrill, ja doch. Die Fahrgäste drehen sich weg, den Wagen wechselt Kassandras wegen längst niemand mehr.

Und dann schlägt das Wetter um. Der Brotverkäufer sagt: Für November ganz schön warm, heute.

Koordinaten: 52° 31′ N, 13° 24′ O, Übergangsbereich Berliner Wetter.

Begegnung
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