Polianders Zeitreisen

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Neues Jahr: salzig bleiben

30.12.2014 · poliander

Kräht den Tag heller

Macht den Tag einen Hahnschrei heller

Geheimnisvolle Nächte: Zeit, die sich auf zwölf Tage ausstreckt. Zwölfmal Tag und Nacht, wird’s da, kaum hell, schon gleich wieder dunkel, haben die Gedanken Zeit, sich den Geistern zuzugesellen, die Geister zu den Gedanken. Das geht nun schon seit, um das Mondjahr mit dem Sonnenjahr zu versöhnen, zwölf Tage in den Kalender eingefügt wurden, die von der Nacht des Weihnachtstags bis an Epiphanias reichen, den 6. Januar. Manche sagen auch, das beginne schon am 21. Dezember, dem dunkelsten Tag, der längsten Nacht des Jahres, das nun müde geworden ist und seine Müdigkeit ins neue mitnimmt. Das fängt gut an. Ein Jahr, das schläft, kann viel träumen. Darum sagt man ja, die Träume dieser Nächte nähmen die Taten des Jahrs voraus, Nacht für Monat. Wer’s glaubt: wird auch nicht gleich selig.

Träge zwölf Tage, in denen die Gedanken spinnen. Nicht einmal der Eichelhäher kommt, im Balkonkasten nach den Eicheln zu suchen, die er dort versteckte. Die Eichhörnchen turnen dieser Tage nicht in der Lärche oder zeigen sich nicht dabei. Dennoch verschwinden Nüsse und Früchte von der Schale, während das Licht herunterbrennt und wir die letzten Suppen des Jahres essen, Maronen rösten im Ofen und den Kipfel, den Kapfel, bis er aufplatzt, dass sein süßes Fleisch zu Karamell wird.

Der Tabus sind viele, Poliander lernte sie in der Negation: “Als ich die kleinen Kinder hatte”, sprechen die alten Frauen, “konnte ich die Wäsche doch nicht bis ins neue Jahr liegen lassen!” Und kommt Frau Holle mit ihrem Schlitten, dann gnade wer weiß wer dem, der die gebrochne Deistel in lauernder Absicht auf lockenden Lohn repariert! Arglos sind die Glücklichen der Stunde. Sie fürchten weder  Frau Holle noch ihre Zwillingsschwester Perchta mit der Perchten-Reisegesellschaft aus lauter Seelen, die ums Haus fliegen und durchs Fenster sehn und fragen wie’s Christkind: Sind’s gute Kind, sind’s böse Kind? Und sind doch selbst nicht böse noch gut, die tags, sagt die Sage, im Hörselberg wohnen bei Eisenach, vielleicht auch sonstwo, man denke nicht, dass ihnen ein Weg zu weit sei. Und wen sie beschenken, schweige besser.

Zwölf Nächte sind zwölf Lostage, die das Wetter prophezein und wer weiß noch was. Laura Salman aber pflegte an Lostagen Linsen zu essen, und so tat wohl auch Trobadora Beatriz, nur viel feiner, als es ihre Spielfrau liebte, die sich hernach hinterm Bauzaun des kriegszerstörten Hugenottendoms (ja, es ist lang her) verlustierte. Denn es ist Aberglaube, dass man in den Zwölfen keine Linsen essen soll, vielmehr sind es die Vielen, die Vieles bringen: “Schmeckt das neue Jahr gut?” P. wünscht, es möge gut gesalzen sein, das Jahr. Denn Salz macht rein, es macht das Süße süßer, kommt mit dem Brot ins Haus und auf den Tisch mit feinem Öl von weither aus dem Süden des Erdteils. Und Poliander zitiert ausnahmsweis den Herrn Luther, der Jesus, der auf einem Berg redete, zitierte; Herr Luther übersetzte dessen Rede so: Jr seid das Saltz der Erden. Wo nu das Saltz thum wird / wo mit sol man saltzen? Es ist zu nicht hin furt nütze / denn das man es hin aus schütte / vnd las die Leute zutretten. Jr seid das Liecht der Welt. Es mag die Stad die auff einem Berge ligt / nicht verborgen sein.

Das Salz der Erde, ein Geheimnis, nicht böse, nicht gut, auch das Licht: nicht böse, nicht gut, während die Wolken ums Haus fliegen, Regen und Schnee und Sternennacht und die ganze Stadt in unserm Kopf zu kreisen scheint, wendet P. die Gedanken an die Bäume, die intelligentesten Wesen der Welt, und den Wald, den P. in lauter Bäumen so gern sehn will.

Und das sind Polianders Wünsche fürs neue Jahr:

Gut gesalzen sei Ihre Rede und eure, wenn wir den Mund nicht halten, sei es in Freude oder gerechtem Zorn. Und glücklich alles, was wir beginnen.

Und dann, in ein paar Tagen, schon Epiphanias, ist’s einen Hahnschrei länger hell.

Koordinaten: 25. Dezember bis 6. Januar. Hören: Die Historia (Heinrich Schütz). Das Salz der Erde, Film.

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