Warum Grimm?
Althochdeutsch hieß das grim, auch grimmi, ein dem West- und Nordgermanischen gemeinsames Wort, sagen die Brüder, grim, das gibt es altsächsisch, angelsächsisch, altfriesisch und so weiter, sagen die Brüder auch. Sagen heißt hier: Sie schrieben es. Wäre die Schrift nicht schon in der Welt gewesen, die beiden Brüder hätten sie erfunden.
grim in all diesen oben genannten Sprachen bedeutet: wütend, wild. Und das sei vielfach weiter entwickelt worden, sagen die Brüder, zu: böse, furchtbar. Nur im Gotischen sieht das Wort ganz anders aus: gramjan. Andere Ablautstufe. Ach so. Die indogermanische (heißt so: idg.) Wurzel *ghrem- bedeutet: reiben, knarren, knirschen.
als ausgangspunkt der bedeutungsentwicklung ist der begriff der zähneknirschenden wut anzusetzen, sagen die Brüder, und man weiß nicht, ob sie sich da einen Spaß erlaubt haben, womöglich, die beiden, die Brüder.
Jakob und Wilhelm.
Warum Grimm? Immer ist man ja versucht, Namen zu erklären. Sie mit ihrem Träger in Verbindung zu bringen. Doch liest man nur einen Artikel des Wörterbuchs, denn sie haben doch ein Wörterbuch geschrieben, die Brüder, so ist es nicht dies, was ihre Arbeit beschreibt. Es ist doch nicht: in wut geratend, zornwütig, ergrimmt. Oder wie.
Vielmehr sollten sie heißen: Geduld, althochdeutsch: gidult, die Brüder, denn mit unendlicher Liebe und Geduld haben sie diese Wörter aufeinander gehäuft und ineinander, man kann, althochdeutsch, auch gidultî sagen, dultî auch. Die Brüder Geduld, sie saßen an ihren Schreibtischen, und die Tür zwischen ihren Arbeitszimmern war immer geöffnet, immer. Das muss man sich vorstellen, welche Geduld sie gehabt haben müssen, wo Poliander, nur um ein Beispiel zu nennen, wo Poliander schon auf die Palme gerät, wenn der Gefährte durchs Zimmer läuft und die Dielen knirschen, vibrieren. Oder wenn ich- (Ja hören Sie, ein Haus, das am Ende der 20er Jahre, der 1920er Jahre, ich bitte Sie, das ist doch kein Beton, meine Liebe-)
Oder doch nicht Geduld, denn um so geduldig zu sammeln, muss man doch in sich haben: eine Liebe, eine, jetzt, ja, wütende Liebe zu den Wörtern, zu ihrer Gestalt und Vielgestaltigkeit, ihrer Potenz, sich aneinander, ineinander, ja, auch umeinander zu fügen, völlig, wild, geduldig, verliebt. So wie die wilden Tiere sie haben können, eine Liebe und Lust, mit der ein Beutegreifer (das ist politisch korrekt für: ein Raubtier) ruhig atmend, in Geduld sich sammelnd, die Kraft konzentrierend für den Augenblick, den richtigen, also mit dem das Tier da liegt, still lauernd-
… das grimme Tier!
Warum Geduld?
Eine geschaffene, naturwüchsige menschensprache voraus zu setzen mahnt von der oberfläche her angesehn nicht weniges. vergegenwärtigen wir uns ihre schönheit, macht und mannigfaltigkeit, wie sie sich über den ganzen boden der erde erstreckt, so erscheint in ihr etwas fast übermenschliches, kaum vom menschen selbst ausgegangenes, vielmehr unter dessen händen hier und da verderbtes und in seiner vollkommenheit angetastetes. gleichen die geschlechter der sprachen nicht den geschlechtern der pflanzen, tiere, ja der menschen selbst in aller beinahe endlosen vielheit ihrer wechselnden gestalt? (Jakob Grimm, ÜBER DEN URSPRUNG DER SPRACHE, 1851)
Warum Grimm? Wegen der Märchen auch. Wegen des wichtigsten Märchenbuchs, ja des wichtigsten Buchs.
Einspruch: Aber hören Sie, das können Sie doch nicht behaupten!
P., geduldig: Aber sicher, ich behaupte das.
Wenn es also zwei waren (P.: zwei sind!), dann kamen sie in den, P. nennt ihn: Arbeitsrausch, an ihren Schreibtischen in den Zimmern, nebeneinander, wo ein Wort das andere gab, ergab, sich eines dem andern- Weil sie zwei waren, so haben sie, scheint es, nichts vergessen, nichts verfehlt, oder die Fehler, so muss man sich das vorstellen, waren unabdingbarer Teil des Ganzen, so wie kein Stück Fell zu Boden fiel, als das Mäntelchen genäht wurde, in dem Allerleirauh (Nein, ich bitte Sie, das werden wir niemals „Allerleirau“ schreiben!) sich verbarg. Es war ein gutes Mäntelchen, mehr sage ich darüber nicht.
Warum also Grimm: weil die Sprache die Geduld braucht, die niemals entsteht ohne diese wilde Wut. wild, althochdeutsch wild, mittelhochdeutsch wilt, heißt: frei lebendes, jagdbares thier, das hätten wir nicht gedacht, Poliander und ich, dass die Brüder dies zuerst sagen über das Wort wild, und doch, die Sprache: So frei sie lebt, so flieht sie doch vor denen, die sie jagen, und überhaupt diese Verbindung: Was gejagt wird, kann nur ein frei Lebendes sein. Denn was nicht frei ist, wird geschlachtet. Im weiteren sinne alle wildlebenden thiere einschlieszlich der raubthiere, der raubvögel und des wilden geflügels im gegensatz zu den zahmen thieren, daher gerne in der verbindung zahm und wild, sagen die Brüder. Und das ist ein Wort, das lese ich, lesen Poliander und ich, als ein Wort über die Sprache.
Frage: Warum Grimm?
Antwort: Geschichten.
Frage: Warum Sternbild?
Antwort: Freundschaft.
Frage: Mehr nicht?
Antwort: viel mehr.
Koordinaten: Das Wörterbuch. Das Märchenbuch. Biographie.