Polianders Zeitreisen

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Wie Lola Bensky einmal Janis Joplin traf und was sie sonst tat und dachte

12.03.2013 · poliander

Die gute Zuhörerin hat viel zu erzählen.

Die gute Zuhörerin hat viel zu erzählen.

Ein Titelbild, das signalisiert Leichtigkeit, ein Werbespruch, der biedert sich an (“ein hinreißend komischer und lebenskluger Roman über eine unkonventionelle junge Frau und die Last der Vergangenheit”) und verspricht, was kein richtiges Buch hält, müheloses Lesevergnügen. Na sicher doch, auch “Last der Vergangenheit” steht nicht im Widerspruch dazu, unterhalten sich doch viele bestens, die sich auf der sicheren Seite der historischen Sieger sehen. Aber. Wir mit Poliander, wir wollen immer ein Aber.

Viele Jahre später sagte eine Freundin zu Lola, dass sie niemals Rockjournalistin hätte werden können. “Meine Sexualität wäre mir in die Quere gekommen”, sagte sie. Lola hatte sie angestarrt. “Das Einzige, was mich interessiert hat, waren meine tragbare Olivetti-Schreibmaschine, mein Aufnahmegerät und dass ich die beste Story bekam, die ich kriegen konnte”, sagte Lola. Doch danach machte sie sich stundenlang Gedanken darüber, wo ihre Sexualität geblieben war.

Das ist nicht komisch. Trotzdem kann man, liest man, was Lily Brett in “Lola Bensky” erzählt, oft lachen, zumindest im ersten Moment, wie über die ewigen Diätpläne, die Lola aufstellt, die so elaboriert sind, wie fünfmal täglich einen Pfirsich, eine Aprikose, ein Ei und eine halbe Melone essen. Man lacht etwa so lang, bis man verstanden hat, warum Lola das tut. Eigentlich nicht sehr lang.

“Lola Bensky” erzählt von einer jungen Frau, die Interviews mit MusikerInnen führt, wie Janis Joplin, Mick Jagger, Jimi Hendrix, und davon, wie diese Frau sich dabei fühlt, davon, was sie über die Leute, mit denen sie spricht, denkt, was sie über ihre Eltern, die Überlebende von Konzentrationslagern sind, denkt, was sie über sich denkt. “Lola Bensky” erzählt, wie es mit der Frau im Leben weitergeht, mit ihrer Arbeit, ihrem Privatleben und Schreiben, wie es mit ihren Eltern weitergeht, mit den Freundinnen und Freunden ihrer Eltern, mit den Leuten, die sie in Interviwes befragt hat. Es gibt Vor- und Rückgriffe, es wird überhaupt nicht gradlinig erzählt, sondern die Zeiten schachteln sich ineinander, so wie es Gedanken tun. Wir mit Poliander erwähnen das extra, denn es ist ja seit einiger Zeit nicht mehr selbstverständlich, in der Literatur Gedanken und Zeiten zu schachteln. Es gilt als schwierig.

“Trinkst du nie?”, fragte Janis Joplin.
“Nein”, sagte Lola. “Ich trinke überhaupt nicht.”
“Nimmst du Speed?”, fragte Janis Joplin.
“Nein”, sagte Lola.
“Was denn dann?”, fragte Janias Joplin. “Was tust du, wenn du deprimiert bist?”
“Ich weiß es nicht”, sagte Lola. Eigentlich war sie nicht oft deprimiert. In Zukunft würde sie ziemlich viel Zeit damit verbringen, deprimiert zu sein, doch davon wusste sie noch nichts.
“Meistens bin ich ziemlich beschäftigt”, sagte Lola zu Janis Joplin. “Ich mache meine Interviews, verabrede noch mehr Interviews, schreibe die Artikel, und dann plane ich meine Diäten.”
“Lieber Himmel”, sagte Janis Joplin. “Du planst Diäten?” Janis Joplins Reaktion überraschte Lola. Nicht weil Janis Joplin sich wunderte, dass Lola Diäten plante. Lola wunderte sich über den Ausdruck, den Janis Joplin verwendet hatte. “Lieber Himmel.” Das klang so prüde.  Und an Janis Joplin war überhaupt nichts prüde.

“Lola Bensky” ist kein heiteres Buch. Die Erzählerin geht realistisch durch das, was sie erzählt, mit großer Lust zu erzählen, die sich beim Lesen in realistisch-trauriger Heiterkeit oder heiter-realistische Trauer übersetzt, es hat genau diese Mischung, die mit tragikomisch nicht nur unzureichend, sondern auch falsch beschrieben wäre. Obwohl offen autobiographisch erzählt wird, obwohl sehr Persönliches erzählt wird auch von anderen, von Personen, die heute derart prominent sind, dass sie wohl niemandem mehr ein persönliches Interview geben, ist es kein Buch, das Voyeurismus oder Klatschlust jeder Art befriedigt. Es ist leicht zu lesen und auch schwer, man legt es ungern weg, aber man würde es nicht in die Ecke zwischen Bett und Wand stecken, sondern man tut es lieber auf den Tisch etwas abseits, ehe man einschläft. Es ist ein Vergnügen, “Lola Bensky” zu lesen, weil es jede Leserin, sofern sie nur hinreißend klug, politisiert, humorbegabt, musikaffin und in der Lage ist, den eigenen Bauchknopf nicht als Nabel der Welt zu betrachten, lieben muss. Mindestens: unbedingt lesen sollte.

Koordinaten: Lily Brett: Lola Bensky, Berlin: Suhrkamp 2012

Begegnung
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