Polianders Zeitreisen

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Zieh dich aus und geh ins Museum

04.10.2011 · poliander

Subtiler Gebrauch des Zeichenwerkzeugs

Subtiler Gebrauch des Werkzeugs

Liebe Freundin,

in Berlin zeigen sie Gesichter. (Ach, wenn sie nur Gesicht zeigten *** nebenbei.) Alle reden davon. Alle stehen Schlange.  Poliander kam mittwoch früh, ging an der Schlange vorbei, Privileg, Zeitfensterkarte, die Polianders Begleiterin geschickt vorab im Internet erworben hatte, so dass nun eigentlich Poliander die Begleitung war. 1., 2., 3., 4. Kontrolle, Sprechfunk: “Kann ich zwei durchlassen?” (Ja.) Ja, wir hatten unsere Sachen abgegeben, denn ja, es ist warm in den dunklen Räumen, in denen sie die italienischen Porträts zeigen, sehr warm, um genau zu sein, wer hätte gedacht, dass die Bilder es lieben, derart warm gehalten zu werden? Dunkel, ja, aber so warm? Liebe Freundin, wenn du das sehen willst, ich sag es dir gleich:  Zieh dich aus und mach dich locker, denn es ist nicht nur warm, sondern auch voll. Und dann tauche in die Dunkelheit. Ein Audioguide ist nicht nötig, es reicht, wenn du sehen kannst. Finde dich damit ab, dass es voll ist. Dränge dich nicht vor die Tafelbilder, denn gleich am Eingang wirst du verstehen, was die eigentliche Attraktion dieser sonst so konventionellen Ausstellung von Hits der Renaissancemalerei ist: die Zeichnungen. Vor den Zeichnungen gehst du in die Knie. Subtile Handhabung des Zeichenwerkzeugs, Nähe zum Porträtierten (ja, es ist oft ein Mann. Doch nicht immer, schau hier.), wenn es hier irgendwo Porträtähnlichkeit gibt, dann in den Zeichnungen. Du wirst einen Mann sehen, den du gern kennen würdest, nein, wir haben hier kein Bild. Wo die Tafeln repräsentativ sind, sind die Zeichnungen sinnlich. Und wirf auch ein paar Blicke auf die Medaillen, fein und gut mittelalterlich, wer Leonello heißt, hat einen Löwen im Rücken, opus pisani pictoris, mit lockigem Bauchfell und geflügeltem Knaben dabei. Von Engeln reden wir hier nicht.

Erst am Ende, erschöpft,  triffst du, rechts des Mittel- und Höhepunkts im letzten Zimmer (da Vincis Dame mit Hermelin, was sonst?) jene junge Frau vor Wacholdergesträuch, eine Witwe vielleicht, sie hat den Ring leer in den Fingern statt auf dem Finger, entrückt rätselhaft. Sie wird noch da sein, wenn die Dame mit dem Hermelin abgereist ist, doch nicht für immer, sie wohnt in New York. Geh also und sieh sie dir an. Und wenn du schon da bist, gut, wirf auch einen Blick auf die Hermelin-Dame (Es ist keines, kein Hermelin, meine ich, doch das kümmert bitte wen?) Und dann geh wieder.

Was soll ich sagen, es hat mir gefallen und auch wieder nicht.
Sei umarmt, liebe Freundin
P.

Koordinaten: 52° 31′ 14” N, 13° 23′ 50” O, Bodemuseum, 15. Jahrhundert, noch bis 20. November 2011, “Dame mit Hermelin” nur bis 30. Oktober 2011.
Abbildung: Gentile Bellini, Bildnis eines Mannes, Detail (Pressefoto: Staatliche Museen Berlin)

Augenweide
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