Polianders Zeitreisen

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Mehr vom Aberwitz

05.08.2011 · poliander

Die Hamburger Schreibschrift-Debatte erhitzt die Gemüter zwar noch nicht derart wie die Bahnhofs-Debatte in Stuttgart, doch auch den HamburgerInnen möchten wir aus dem Hause Poliander zurufen: “Oben bleiben!” Denn mag es auch tausend Plateaus geben, Niveau gibt es nur eines, und wo könnte Niveau noch dringlicher gewünscht werden als in der schulischen Bildung?

Bereits im Juni äußerte ein Sprecher der Hamburger Behörde, man sehe in der Abschaffung der “Schreibschrift-Pflicht” eine Chance, nämlich die, “durch die Vereinfachung die Kernkompetenz des lesbaren Schreibens zu stärken.” (Beitrag im Hamburger Abendblatt) Wer je über die mangelhaften Lese- und Schreibfertigkeiten von  Absolventen und Absolventinnen deutscher Schulen klagte, sollte lieber keine (ohnehin nur vermeintliche) Vereinfachung fordern, sondern dafür sorgen, dass der hochgeschätzten Kernkompetenz der gebührende Raum eingeräumt wird, damit alle Kinder gut und auch mit der Hand schreiben lernen.

Eine schöne Polemik gegen die Abschaffung der Schreibschrift erschien in der taz. Darin wird darauf hingewiesen, dass beim längeren Schreiben einer Druckschrift die Hand verkrampft. Mit einem fiesen Foto versehen wurde dieser dpa-Bericht auf shz.de. Das Bild zeigt eine Kinderhand, die sich mit einem viel zu kurzen Stiftrest abmüht. Wer je die Handschrift eines Erwachsenen sah, der als Kind auf Druckschrift “umgeschult” wurde, begreift gleich, was mit “Verkrampfung” gemeint ist. Eine viel benutzte, ausgeschriebene Druck-Handschrift ist weit unleserlicher als die meisten ausgeschriebenen Schreib-Handschriften. Sicher, die meisten Erwachsenen, die überhaupt mit der Hand schreiben, haben eine eigene, für sie charakteristische Schrift entwickelt, die oft auch Druckschrift-Elemente enthält. Doch das wird entscheidend davon befördert, dass sie erst einmal Zeit und Energie auf das Erlernen einer verbunden und leicht dahinfließenden Schrift aufgewendet haben. Und übrigens: Wer die Schreibschrift gut schreiben kann, hat es leichter, der eigenen Hand auch eine leicht fließende Druckschrift anzugewöhnen.

Womöglich gehen deutsche Grundschullehrerinnen gar nicht mehr davon aus, dass ihre SchülerInnen eines Tages viel schreiben werden. Das, Lehrerinnen!, könnte sich als self-fulfilling prophecy erweisen. Der Ruf deutscher Deutschlehrer ist bereits ruiniert. Grundschullehrerinnen, sind Sie gar nicht bange?

Koordinatenlos.

Erregung
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