Polianders Zeitreisen

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Geheimnisvoller Besuch – Vodou in Berlin

30.07.2010 · poliander

Bizango des Kreuzwegs (Bild: Staatliche Museen Berlin)

Bizango des Kreuzwegs (Staatliche Museen Berlin, Pressefoto)

Es ist einer dieser schwülen Tage, an denen man schwitzt, obwohl man friert, an denen auf Gewitterwolkendunkelheit spitzes, weißes Licht folgt, wechselnd und wieder von vorn. Kein Jogger rennt durch die Sonntagsmittagsöde der Archivstraße im bürgerlichen Süden, gleich hinter jener Kreuzung mit Gartenlokal, wo sich Schnauzbebartete und Damen im Blumenkleid zum Dixieland-Frühschoppen treffen. Also die Archivstraße, vorbei am Preußischen Geheimen Staatsarchiv, an dem jedoch ein Blick hinauf zum preußischen Adler nicht schaden kann, der hier wie ein aufgescheuchtes Huhn die Beine hebt, dem gleich der Hals abgeschlagen wird. Zauberei!, oder wozu braucht man Hühnerblut? Da hat er Glück, der Adler, Relief und Stein.  Poliander und ich gehen nach Dahlem Dorf, bürgerlich und akademisch, nur Dorf, das grade nicht, und noch ein paar Schritte weiter, endlich, finden P. und ich das Ethnologische Museum. Es ist warm, zu warm, jedes Stockwerk wird es wärmer, wenn auch nicht so warm, wie es sein sollte, dass wir uns fühlen wie auf Haiti. Der Eingang nach Haiti befindet sich hinter dieser Tür, hinter Vorhängen aus dunklem, flauschigem Zeug. Durch die muss man sich erst einmal winden. Und dann steht man in der feuchten Kälte einer Klimaanlage, konservatorische Gründe? Haitianische Objekte sind Hitze und Kummer gewohnt. P. zieht mich zu den Bildern, P.  kommt ja auch nicht aus dieser Welt, zuerst, will P., sollen wir auf dieses Video schauen, auf die weißgekleideten Leute, die tanzen, Röcke schwingen, trommeln, ernsthaft, routiniert, in Trance, in ihrem Rücken, in ihrer Mitte der geschmückte Baum oder Pfahl: ein Mittelpunkt einer Welt,  der Pfahl ist der Weg, der zu den Geistern führt, sie und wen noch?, uns verbindet. Abseits der Stier, dem gleich die Kehle durchschnitten wird. Die Ausstellung handelt von heiligen Gegenständen, Gegenständen mit Zweck, der geheim ist, handelt von Leuten, die in einem Wasserfall stehen, sitzen, sich die Sachen vom Körper ziehen, die das zu einem ferneren Ende tun, nicht grad der körperlichen Reinigung wegen, untrennbar von anderen Zwecken: auch ihr zuliebe.

Wir gehen und sehen die Dinge, die auch Personen sind oder Wesen, mit ihnen zu kommunizieren wäre wie ein Telefonat in die andere Welt. Sie sind hier doch auch fremd! Eine ordnende Hand hat sie zueinandergestellt, dass ihnen nicht so kalt ist, bei dieser Klimaanlage, bei uns Fremden, die wir nur schauen. Wenigstens hat keiner sie geputzt und niemand von ihren Füßen den Staub des Gehens von Welt zu Welt und die getrockneten Spuren der Opfergaben, der Bitten, der Benutzung entfernt. So bleiben sie warm in sich. Die Kunst: Liebe und Mühe haben die Perlenschnüre auf die Flaggen genäht, die man für Rituale und Feste benötigt, die geschwenkt werden, in Bewegungen, die genau richtig sind, nicht sparsam, nicht pathetisch. Die Sorgfalt hat dicke Futterformen unter die Perlen genäht, die Flaggen sind bunte, comicartige Reliefs. Die Leute setzen ein, was sie haben, Textilien, Beton, Knochen, Schädel. Und so weiter, es ist alles eins, es ist alles zusammen, und die Figuren der Geister sind die Geister und trotzdem das von Menschenhand Genähte, Bestickte, mit Spiegelchen Versehene. Es ist arme Kunst, für die genommen wird, was eben da ist, es ist reiche Kunst, für die gefunden wird, was sich eignen, sich anverwandeln kann.

Das Gemischte: Erzulie Dantor ist Göttin, Geist und die schwarze Madonna von Czestochowa, sie liebt Kinder über alles, sie ist eine Freundin. Das sind Geschichten, die über sie umlaufen. Eine von ihnen ist in Dahlem, jetzt. Erzulie Freda, die hilft den unglücklich Liebenden, sie ist eine Babypuppe, und sie ist selbst unglücklich verliebt. Kraze Bize, ein Iwa, ein Geist des Todes, der ein Gesicht hat, zur Hälfte ein Schädel, der eine Sonnenbrille trägt, mit nur einem Glas, das andere Auge ist leer: weil er in diese und in jene Welt schauen kann. Das Gemischte: das Geistige und das Praktische. Große Flaschen und Pakete mit Sättigung aus der, von der anderen Welt, für diese und die andere. Flaschen, die gehörnt sind, Flaschen mit Elixieren, die an ihrem oberen Ende Messer und Gabel haben, damit die Geister sich ihrer bedienen beim Essen. Das Gemischte: barocke Spiegel, die überformt sind mit Dingen des Vodou. Das Gemischte: die Liebe und die Macht, die Revolution, die von den Geheimnisgesellschaften gemacht wurde, der Machtmissbrauch, der sich dieser Formen bediente, die der Ermächtigung der Ohnmächtigen dienten. Poliander stößt mich an: ein halbdunkler Raum, in dem die Spiegelchen von den roten Kleidern der Bizango-Armee leuchten. Es ist nicht wie im Kino, es ist wie im Traum. Aber wir vergessen nicht ganz, dass wir in Dahlem sind, Berlin, Westberlin, genau zu sein. Wir vergessen nur die Zeit, den Rückspazierweg, das Eisessen. Das hat Zeit. Wir gehen lieber noch einmal zurück, noch einmal durch die Zimmer, wir schauen noch einmal in die Gucklöcher, hinter denen eine jenseitige Welt liegt oder das Nachbarzimmer, der Nebenschauplatz, das Zentrum der Welt, wo alles anders ist, handgemacht, gebraucht, wo die Gehörnten sind und die Zauberspiegel und die drei Babies aus Stoff, die ungelenk auf ihrem Stuhl klemmen und wahrscheinlich machtvolle Geister sind. Wahr schein lich. Gehen Sie hin, der Oktober kommt schneller, als man meint.

Koordinaten: Haiti in Dahlem, 52° 27′ 29“ N, 13° 17′ 32“ O, Ethnologisches Museum, 18. Mai bis 24. Oktober 2010
Anderswo lesen: Herbert Gold über Haiti in Lettre International Nr. 88

Begegnung
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