Geräusche: seit Tagen ein fallweise an-, bisweilen auch ab- und herumschwellendes Dröhnen, ein Ziehen und Heulen ums Haus.
Himmelsanblick: Wolken jeder Art, kurzzeitig graue Suppe, häufiger weich auslaufende oder scharf begrenzte Gebilde, die sich türmen, bewegen, Sonnendurchbrüche, dann wieder sich vertiefende Schwärze im Norden, weiß glühenden, ausgefranste Ränder über hellem Grau, Zug nach Osten, davor schwarze Zweige, schwankend, dann schräg liegend unterm gleichförmigen Druck.
Auf allen Wegen Zweige, glaubten wir beim zweiten Sturm (Zeyneb) noch, der erste (Ylenia) habe schon alle losne Zweigen und trockenen Äste heruntergeworfen, zeigte sich beim dritten (Antonia): Nicht einmal alle Bäume, dern Verankerung sich in den trockenen Jahren (und es waren mehrere vor dem letzten, feuchteren) gelöst hatten, hatte schon Ylenia mit Wind gefällt, es fielen noch mehr.
Ein Baum lag quer über den Fußgängerüberweg an der Ampel, Passant!nnen standen und fotografierten. So gut geht es uns also, dachte P.
Wären die Bäume belaubt, brächen noch mehr zu Boden. Doch auch so waren es genug, dass der Bahnverkehr unterbrochen wurde. Als P. am Telefon hörte, dass zum Skifahren aufbrechende Leute statt der unterbrochenen Bahnverbindung mit Autos losfuhren, verschloss ihr ein irres Lachen leise den Hals. Wenn schwere Züge aus Stahl und Eisen blockiert werden, sind PKWs Spielball des Windes, Pappkartons unter krachenden Bäumen. Aber die zerstörerische Kraft von Ski-Abfahrten auf präparierten und unpräparierten Pisten ist größer und nachhaltiger als jeder Sturm, denkt P. Man muss sich die Orte nur einmal im Sommer anschauen, wenn die von den zahllosen abfahrenden Freizeitsportler!nnen zu Grunde planierte Biomasse gelb und braun dahinvegetiert. Doch was ist die Ursache, letztlich, vielleicht die zerstörerische Kraft des Wohlstands, die uns glauben lässt, wir dürften selbst der Sturm sein, der das Land verwüstet?
Sturm, stets eine Metapher für Herzen, sie schlagen schneller. Sturmtief rückt an, Blutdruck steigt. Gestörter Nachtschlaf, abgeblendete Sterne, zwischen den abgrundtiefen Luftzügen des Windes bricht Vollmondlicht hindurch. Welche Sorge wächst da, die Sorge um die Erde oder doch wieder nur die Sorge um sich? Nicht dass die grundlos wäre. Nur die Sorge um die Erde, die hat jetzt allen Grund.
Beunruhigung im Publikum.
Ein Wetterexperte verkündet, nicht jeder konkrete Sturm rühre von der Klimaerwärmung her. Beruhigt Sie das, Leserin? Ein Experte teilt mit, die Zahl der Stürme habe sich gar nicht vermehrt. Glauben Sie das, Leser? Beunruhigen Sie sich vielleicht ein bisschen mehr, wenn der Strom wegbleibt, wenn die Internetverbindung streikt? Wenn der offen zutageliegende Wurzelballen des umgestürzten Baumes erschreckend klein aussieht? Meinen Sie, P. rufe Penitenziagite? P. ruft selten etwas. P. hört die Martinshörner in den Straßen. P. erinnert sich an die frühen 90er Jahre, als Aki Kaurismäki sagte, wir seien die letzte Generation, die noch intakte Natur und intakte Kultur kenne.
Ach ja, wir sind ja gar nicht das Publikum. Wir agieren selbst.
Es gibt Schönheit: zum Beispiel gerade jetzt, während es stürmt, bei den Aktivist!nnen der letzten Generation.
Es gibt Gründe: etwas und sich selbst zu ändern.
Wolfgang E. Herbsts (P.s Beitrag vom 11. Februar 2022) schrieb auf jeden Briefumschlag:
Macht euch der Erde untertan.
Ja, macht!
Koordinaten 1 (unbedingt zur Kenntnis nehmen): Aufstand der letzten Generation.
Koordinaten 2: Extremwetterereignisse laut Umweltbundesamt. Penitenziagite.
Covid-Zahlen: 13.636.993 bestätigte Fälle (Zahl laut täglichem Lagebericht des Robert-Koch-Instituts vom 21. Februar 2022), davon ca. 3.686.400 aktive Fälle. Genesene: ca. 9.829.300 (vom RKI geschätzter Wert zum gleichen Datum). Einmal geimpft: 63.377.472, zweimal geimpft: 62.491.708, dreimal geimpft: 46.780.88 (alle drei Zahlen laut Lagebericht vom gleichen Datum).