Polianders Zeitreisen

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Freilandillusionen

05.11.2019 · poliander

Das Holz ist glatt von Salz und Feuchtigkeit. P. stiefelt zur Ausblicksplattform. Die Geräusche der eigenen Tritte. Die Geräusche der Stiefel von P.s Gefährten. Die Geräusche des Watts. Wie die klingen? Sie klingen zum Selberhören.

Die Gleichzeitigkeit der Wiesen, der salzliebenden Pflanzen zwischen Weg und Schlickfläche, der Schlickfläche. Luftblasen steigen sehr langsam durch die zähe Masse, langsam blähen sie kleine, punktförmige Flächen. Wie klein muss eine Fläche sein, dass P. sie Punkt nennen darf? Was nicht flüssig ist, steigt durchs Schlick wie Gedanken durchs Bewusstsein. Vom Eilen der Wolken kein Geräusch. Der Wind kann so vieles, er fliegt, eilt, streicht, flattert vorbei, er hat die Wahl, doch bisweilen wählt er nichts, tut alles zugleich. Die Geräusche der Tiere verbünden sich mit dem Wind.

amrum land vom watt her gesehen

Unter P.s Füßen die Bretter der Aussichtsplattform, darunter das Watt. Schlick schlickt. P. setzt sich aufs die Ausguckbank, dreht sich, schaut vom Watt her zum Land. Die Linie zwischen Hügel und Himmel. Illusion schluckt die Entfernung von Watt, Pferden und Leuchtturm. Die Pferde erscheinen als Riesen neben der Silhouette des Leuchtturms. P.s Aufmerksamkeit zieht einem unsichtbaren Gänseschrei hinterdrein.

“Es sind gar keine Vögel zu sehen!” Der Ausguck ist rund. Auf der anderen Seite der Ausguckbank sitzt ein Mann mit Fotoapparat. Er hat ein Riesenobjektiv und möchte zum Abschluss kommen wie der Stürmer vorm Tor. P. und der Gefährte, der jetzt auch an der Bank angekommen ist, schauen aufs Watt.

voegel im watt vor nebel

“Angeblich sollen ganze Schwärme zu sehen sein.” Der Mann wird sich beschweren, sagt sein Ton. P. rät vorsichtig, zur Odde zu gehen, gleich hinter dem nördlichen Dorf beginnt diese Land- und Dünenzunge, und an ihrem Ende wohnen stets viele Vögel oder sind zu Gast. Auch Seehunde. Der Mann deutet auf seine Beine. “Unser Hotel ist in Wittdün. Meine Frau hat mich mit dem Auto hergebracht.” Die Beine tun ihm weh. Zwischen Parkplatz und Ausguck ist nur ein schmaler Weg. Erst runtergetretenes Gras und Steinchen, dann Steinchen und Dreck. Nasser Dreck.

Tollen Fotoapparat hat er ja. P. unterdrückt den Wunsch zu helfen. Es misslingt. “Vielleicht in Wriakshörn.” Das ist ein Dünensee, gleich bei Wittdün. “In Wriakshörn waren auch keine!” Der Mann wird sich ganz sicher beschweren. Da vorn ist das Haus des Gastes.

P.s Gefährte fotografiert einige Male in Richtung Schlick. P. hat die Kamera auf stumm gestellt. Die im Watt Sitzenden hören kein Klicken. Kein Schwarm steigt auf. Sie ruhen gern, solange die Sonnenstrahlen noch etwas Wärme bringen. Nicht, dass sie nicht doch zupickten, wenn sich im Schlick Futter zeigt. Sie sammeln Energie, die durchs Watt kreucht. Kein Schritt zu viel, der Weg ist noch weit, der in diesem Herbst vor ihnen liegt.

Wir müssen gehen.

Koordinaten: 54° 39′ 6” N, 8° 20′ 11” O. Fotos: Meyer-Gramann und Gramann.

Schönste Stellen
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