Polianders Zeitreisen

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Wohlfühlsprache // Einverständnis

21.09.2017 · poliander

1. Berlin, Laternen, Parteiplakate. Eines zeigt einen jungen Mann, ein Bürschchen, könnte P. sagen, Gesicht mit Kapuze verdeckt, einseitig heruntergezogener Mundwinkel. Text:  Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber sie stirbt. 

Welche Hoffnung ihm gestorben ist, erfährt P. nicht. Vielleicht die Hoffnung, mit einer Spaßpartei ohne weiteres Zutun und ohne Anstrengungen um den Zustand der Welt gute Laune zu bekommen? Wohlfühlsprache für Möchtegernzyniker, die sich die gesellschaftlichen Verhältnisse, in die sie hineingeboren sind, nicht allein schlechtgucken können. 

2. Berlin, R…er Platz, vor dem Bioladen. Zwei junge Frauen mit einem mobilen Stand versuchen, Mitglieder für eine Menschenrechtsorganisation zu werben. P. nähert sich dem Bioladen. Überschwenglich geht die Buntgekleidete mit den Dreadlocks auf P. zu: Guten Morgen! Guten! Morgen!
P.: Guten Morgen.
Buntgekleidete: strahlt P. an. 
P.: Ich finde gut, was Sie machen. Aber ich bin bereits Mitglied in zwei gemeinnützigen Vereinen. Die sind auch gut, und mehr geht nicht.  
Buntgekleidete: Ja! Aber einen guten Morgen! 
Zehn Minuten später, P. kommt aus dem Bioladen. Die beiden Frauen sind noch da. P. geht Richtung Bahnhof. Die Blaugekleidete ruft P. hinterher: Machen Sie doch einen kleinen Zwischenstopp für die Menschenrechte!

In der Wohlfühlsprache darf der Zustand der Menschenrechte nicht allzu deutlich benannt werden. Allein das Wort zu verwenden, signalisiert den fürchterlichen Zustand, in dem die grundlegenden Rechte von Menschen sich befinden. Soll die Kundin sich am Ende in die Liste einschreiben, darf sie nicht zu bald zu viel zu Fürchterliches darüber erfahren. Denn wieviel müsste sie dann erst konsumieren, um den Zustand der Menschenrechte wieder vergessen zu können. Deshalb wird das Wort “Menschenrechte” gemildert durch “Zwischenstopp”. Ein Zwischenstopp ist kein Aufenthalt.

3. Eine Kollegin erzählt P., dass die Frauen in ihrem Kurs für deutschsprachige Alphabetisierung nicht verstehen, dass es in Deutschland Frauen und Männer gibt, die nicht wählen gehen. P. versteht es auch nicht.

Nein, Anwesende sind nicht ausgeschlossen.

Koordinaten: September 2017. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Begegnung