Polianders Zeitreisen

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Augenfängerinnen, Kinoleserinnen

11.02.2011 · poliander

Sternhafte Bände

Sternhafte Bände

“Gehn Sie halt auch mal ins Theater, nicht immer nur ins Kino”, sagte der Germanistikdozent und hob seine altachtundsechziger Augenbraue, damit niemand im überfüllten Seminarraum seine tiefe Missbilligung versäumte. Es war Kinotag. Poliander sank mit dem durchgesessnen Sessel fast bis auf den Fußboden. Kinolust kannte keinen Rückenschmerz. Tags schreiben, abends Kino. P.s Lieblingskino waren die Schlüter-Lichtspiele in der Schlüterstraße, “Gefährliche Liebschaften”, immer kicherten sie, P. und P.s Begleiterin, wenn die Priester ihr englisches Latein aufsagten. Übrigens hatten sie den Lateinkurs geschmissen, P.s Freundin sagte: “Etwas derart Langweiliges kann ich nicht treiben”, aber im Kino, was!, da kannten sie ganze Passagen auswendig. “Literatur ist Text”, sagte der Dozent und saugte an dem Plastikhalm, der in die Tiefe einer Litermilchtüte führte, “Was gibt’s zu lachen?”, Germanistik war eine ernste Angelegenheit. Poliander lachte, ging ins Kino und schrieb.

Kino kann man auch lesen. Nicht, dass Poliander das erst seit gestern weiß. Aber diesmal schleppt P. die Bücher mit sich rum wie die Katze ihr Junges. Sie sind schwer, sie sind substantiell. Es gibt noch andre Kinobücher, aber heute empfehlen wir dieses eine, dieses eine zu zweit. Es handelt von Asta Nielsen. P. hat schon einmal ein Buch über Asta Nielsen aus der Hand gegeben, das passiert P. aber nicht noch mal! Hier erfahren Sie alles. Warum die Vordertreppe etwas über das Hinterhaus erzählt. Warum man den Blick aus geschlossenen Augen sehen kann. Warum statt 5 Meter Weinen 2 Meter ausreichen. Warum manche Frauen im Kino 3 Sitze wollen. Was Hüte und Häuser gemeinsam haben. Über Produktion. Über Plakate. Und solche Sachen. P. kann noch mehr erzählen. Über die Autorinnen und ihr schönes Projekt hier lesen:
Was wir wollen, ist relevant
Von Ulrike Gramann
Erscheint am 12. Februar 2011.

Ins Kino gehen.

Und die Bücher heißen so:

Unmögliche Liebe. Asta Nielsen, ihr Kino
Herausgeberinnen: Heide Schlüpmann, Eric de Kuyper, Karola Gramann, Sabine Nessel, Michael Wedel
Nachtfalter. Asta Nielsen, ihre Filme
Herausgeberinnen: Karola Gramann, Heide Schlüpmann
Wien: verlag filmarchiv austria 2010

Koordinaten: 50° 7′ N, 8° 41′ O. Kinothek Asta Nielsen.
Anmerkung der Geschichtsschreiberin: Das Schlüter in der Berliner Schlüterstraße bestand von 1912 bis 1996. Es wurde wegen einer unbezahlbaren Mietsteigerung geschlossen.

Schönste Stellen
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