Polianders Zeitreisen

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Fauna

04.07.2017 · poliander

Draußen der Tag

Zwischen drin und drauß

Durch das offene Fenster krähen die Krähen ab vier. Undefinierbares Zwitschern, undefinierbar für P., einst Kennerin jedes einzelnen Vogels im Zwitschervolk, das war Kinderspezialwissen, dagegen ist P. heute ahnungslos. Gegen fünf rennt ein Eichhörnchen die Lärche hoch. Aus dem Baum kommt ein Schmatzen, weil das Tier Lärchentriebe verzehrt. Den Fuchs haben wir lang nicht mehr gesehen, um genau zu sein, seitdem die Hausverwaltung einen Aushang machte, der über das Wildtier-Fütterungsverbot in der Stadt belehrt. Mit einem Füchslein zusammen spaziert er durch die Nachtträume. Gießt P. die Pflanzen auf dem Balkon, sind die Hummeln längst wach, kleine Fliegen schlafen noch auf Blättern. (Nix Romantik, sie schlafen wirklich.) Später kommen Sperlinge und zupfen die Schafgarbentriebe ab. Kleine Stücke fressen sie sofort, große werden weggetragen. An den größten wird mit dem Schnabel gezerrt, bis sie abknicken; was beim ersten Versuch nicht mitgeht, bleibt später auch liegen. Nie nehmen sie von einer anderen Pflanze, nie nimmt ein anderes Tier von den Schafgarben. Meisen kommen auch, und einmal sitzt ein Stieglitz auf den Kornblumen und schaut P. durchs Fenster hindurch aufmerksam an. Das Vögelchen mit dem propagandaroten Mützchen ist jung und schlank, die Blumenzweige tragen es. In ein zwei Monaten wird man es mit Recht Distelfink nennen, wenn Bauch und Hals gewachsen sind und dicke Muskeln tragen. Ein Junikäfer kriecht über den Teppich in Richtung Bett, P. nimmt ihn mit Papier und lässt ihn am Fenster frei. Auf der Straße sieht P. ihn wieder oder einen Artgenossen, es ist ein Käferjahr. Eine Straße weiter begegnet P. dem Eichelhäher. Er sitzt nicht mehr als eine Armlänge vom Bürgersteig entfernt auf einem Strauch, und die feinsten Fittichfedern leuchten kornblumenblau. Wieder im haus findet P. im Fensterkasten einen Ohrenknieper und seine unausgeschlüpfte Brut, in der Küche später noch drei ausgewachsne Tiere. Die Suche nach einem Nest bleibt erfolglos, der letzte Sturm muss sie hereingeweht haben. Viel später, in der Abenddämmerung, flitzen Fledermäuse fliegend vorbei.

Das sind die sichtbaren Tiere eines Frühsommertages in Berlin. Die unsichtbaren beobachten uns aus unergründlichen Augen bei unserem unverständlichen Tun.

Koordinaten: Nicht am Stadtrand.

 

Begegnung