Polianders Zeitreisen

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Kranz oder Krone (54) – freier Tag und freier Stuhl

19.05.2020 · poliander

Freie Tage, und wohin mit sich im Frühling?
“Wir bleiben zu Hau-”
Nein, diesmal nicht.

Wohin? Ins Neue Museum leider nicht. Immerhin der botanische Garten hat wieder geöffnet. Endlich. Sofort bestellt P. Zeitfenstertickets für ein freundliches Zeitfenster am Vormittag.

Frischer Montag, kühler Wind. Der Eingang ist verlegt, nicht Covid-Nr.-19-halber, sondern wegen allfälliger Bauarbeiten. Wir gehen auf die beiden Zerberusse (Zerberi?) zu, die, Münder und Nasen bedeckt, am Eingang wachen. Der Code der Tickets wird von fern gescannt. Dann sind wir drin.

Sind auch schon drin: Bienen in der Päonie. (Kleiner Vorgriff.)

Der Vogelgesang ist, was zuerst auffällt: nicht lauter als in des Gefährten und P.s Straße, dafür umso reicher und vielstimmiger. Feuchte Luft, überall laufen Wassersprüher. Menschen da? Erst sehen wir Bauarbeiter, dann Gärtner!nnen. Besuch kommt später, aber kommt: Zwei Frauen gehen, ihre parallel gehaltenen Arme in rhytmischen Bewegungen schwenkend, langsamen Schritts dahin. Sieht sehr gesund aus.

Dann kommt das ganze Gartenglück. Vor allem ist es grün, sehr grün, und die noch nicht gemähten Wiesen stehen in einem violetten Schleier aus Salbei. Von nahem handfest, stark riechend und etwas klebrig, ist Wiesensalbei, wenn man so drüber hinschaut, ein violetter Hauch von Nichts. Dahinter das Gitterwerk der Bauzäune, wiederum dahinter die geschlossenen Gewächshäuser, Burgen aus Glas. Im einen Feuchtbiotop sind die Aronstäbe längst verblüht, ihre riesigen Blätter aber noch in frischem Grün. Im andern Feuchtbiotop wächst das gefleckte Knabenkraut in beinahe allen Becken, egal, wie nass sie sind, und am Rande der salzigen Sandfläche, wo eigentlich nur Halophyten hingehören. Überhaupt haben ziemlich viele Pflanzen hier ihre Chancen genutzt und sich über den säuberlich in Weltregionen und Landesteile untergliederten Garten ergossen. Die Biomasse hält sich nicht an Abstandsgebote, sondern geht hin, wo die passenden Nährstoffe warten. Oder auch ganz andere.

Und überall, wo Pfingstrosen stehen und Päonien, oder ist das das gleiche?, überall schauen wir hinein. Besucherinnen krabbeln.

Was wir hörten, außer Baukrach und Vögeln? Frösche. Frösche. Frösche. Nicht vergessen, liebe Leserin, schau bei den Fröschen vorbei. Und im Duft des Duft- und Tastgartens.

Wir erzählen nicht alles, was wir sahen, hörten, rochen, ehe wir den Garten verließen. Beim Hinausgehen winkten wir den Zerberussen: Danke und bleibt gesund!

Das Schönste kam draußen: Kaffeetrinken im richtigen Café. Nicht diese Pappbecher, mit denen wir Leute im botanischen Garten sahen. Das, was P. am meisten gefehlt hat. Ziemlich gefehlt. Ein freier Stuhl im Café, extra für dich, für mich. Der Kaffee riecht einfach anders. Was heißt hier besser? Anders. Gut, wir sitzen draußen im ziemlich frischen Wind. Gut, die Tische stehen weit auseinander. Aber es kommen ziemlich viele Menschen vorbei und doch nicht zu nahe, es sind mehrere Tische besetzt, die Busse fahren, der Zeitungsladen ist geöffnet, am Imbiss nebenan machen Büromenschen und Bauarbeiter eine frühe Mittagspause, und die Kastanien stehen im Licht ihrer himmlischen weißen und roten Kerzen. Draußen sein.

Ah. Willkommen in unserer Stadt.

Koordinaten 1: BGBM. 52° 27′ 15” N, 13° 18′ 24” O
Koordinaten 2: 175.210 (Zahl laut Robert-Koch-Institut vom 19. Mai 2020, 0 Uhr, online aktualisiert 7:50 Uhr.) Genesene: 154.600 (vom RKI geschätzte Zahl laut Lagebericht vom 18. Mai 2020)

Kranz oder Krone