Polianders Zeitreisen

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Geh, Jahr, geh

19.12.2024 · poliander

Das Jahr geht. P. geht schwimmen.

Kaum schwimmt P. los, werden zwei Bahnen abgeteilt. „Auf dieser Bahn findet Schwimmunterricht statt.“ Aus der Dusche kommt ein Junge und guckt, andere Kinder kommen hinterher. Erst mal gehen sie zum Nichtschwimmerbecken: Erwärmung. Bisschen Krach.

Die Morgenschwimmerinnen schwimmen weiter. Im vollen Stadtbad wird jede Bahn genutzt, solange es geht. Schließlich kommt die Klasse mit dem Sportlehrer. Wir tauchen unter der Absperrung in die Sportschwimmbahn. P. freut sich über die Kinder in der Nebenbahn. Ungefähr ein Viertel aller Schülerinnen und Schüler können nicht schwimmen, in manchen Bundesländern sogar mehr.

Dabei kann schwimmen Leben retten.

Schwimmen im Meer, Schwimmen in der Halle, das Licht, das im Wasser glitzert, das Blubbern der Luft beim Ausatmen unter Wasser, die Frauen, die einander zunicken, die Schwimmerinnen. Und die silbernen Badelatschen!

Das Jahr geht. Immer stand eine Blume auf dem Schreibtisch. Wenn sie verwelkte, besorgte P. schnell eine neue. Eine Freundin sagte P.: „Mit einer Rose arbeitet es sich anders.“ Oh wie wahr.

Es war ein ernstes Jahr, und alle wissen, warum.

Am Ende dieses ernsten Jahres erscheint dieser eine Lichtblick der Gerechtigkeit. Eine mutige Frau hat sie erkämpft, Gisèle Pelicot in Avignon, die den Mut hatte, ihren Namen zu nennen und zu bezeugen, was Männer ihr angetan haben. Es klingt so einfach, und doch weiß jede, dass es alles andere als einfach ist, dafür zu kämpfen, dass Scham und Schande die Täter treffen. Endlich einmal die Täter treffen! Gesicht zeigen ist schwer. Gesicht zeigen kann Leben retten.

P. zieht den Hut vor Gisèle Pelicot.

Wir können uns am Ende dieses Jahres fragen, was Hoffnung bedeutet. P. meint: Hoffnung bedeutet nicht, dass man immer so weitermacht in der Annahme, es wäre sowieso nichts zu machen, nichts gegen gewaltvolles Gerede und gewaltvolles Tun, nichts gegen Umweltzerstörung, gegen Straßenlärm und Feinstaubbelastung. Hoffnung bedeutet, bei sich anzufangen und das für richtig Erkannte zu tun. Es ist schwer, P. weiß das auch. Und doch. Ohne hoffnungsvolles Tun keine Zuversicht.

So können wir am Ende dieses Jahres unsere kleinlichen Beschwerden einmal beiseite lassen und darauf schauen, was uns gelang in dieser Zeit und was unseren Nachbarinnen und Nachbarn gelingt, unseren Kolleginnen, den Freunden, den Mitfrauen.

Geh, Jahr! Du hast uns viel gegeben, manches genommen. Du hast uns einiges zugemutet. Vieles war ungerecht, etwas war gerecht. Du hast uns die Sonne gezeigt und den Regen, Badeanzüge und Rosen. Menschen haben gelogen. Menschen haben wahr gesprochen. Wir vergessen es nicht und nicht die Namen. Schließlich, einmal gab es Gerechtigkeit unter der Sonne. Das eine Mal für alle anderen gibt einen Funken Zuversicht.

Geh, Jahr, wir vergessen dich nicht.

Koordinaten: Historia. Wir hören die Stimmen, wir haben Gänsehaut.

Begegnung