Polianders Zeitreisen

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Filmreise in die 80er nach Westberlin

22.06.2015 · poliander

WestB-Movie

WestB-Movie

Gehn wir mal ins Xenon Kolonnenstraße, Dunkelort, wenn draußen die Sonne scheint, längster Kinoschlauch, seit das Schlüter Schlüterstraße sterben musste, und heute suchen im Xenon die alten Alternativen lange nach dem richtigen Platz, wo der Kopf vor ihnen Sitzender die Leinwand nicht tangiert, DAS hätte in den 80ern niemand wichtig gefunden, Leute, aber jetzt ist das auch egal, Werbung läuft wenig, Film fängt an, und vorher denkt P. noch: Sollten wir mal öfter hingehn, Leute, ins Xenon Kolonnenstraße, das ne tolle Geschichte hat, Colonna hieß, offenbar das zweitälteste Kino Berlins ist, gewissermaßen direkt nach den Brüdern Skladanowsky gegründet, und mit einem Interieur, das jeder Renovierung standhielt: unzerstört, roh, einladend. Mark Reeder heißt der Mann, kam nach Berlin in den 80ern, als die Stadtteile noch nicht von den Gebügelten übernommen waren und lange bevor Biomärkte so viel Kohle hatten, dass sie Kinos zu verdrängen vermögen. Das Filmmaterial, das der Mann mit dem Milchgesicht und der Uniform-Zusammenstoppel-Manie (Es ärgert Leute, wenn man sie trägt, sagt er) damals aufnahm, zeigt eine versunkene Welt: Music, art and chaos in the wild West-Berlin of the 1980’s: the walled-in city became the creative melting pot for sub- and pop-culture. Before the iron curtain fell, everything and anything seemed possible… Alles möglich, sicher Illusion, und das muss man sich nicht immer vorwerfen, dass man Illusionen hatte//hat, dass man heute noch eine sentimentale Reise durch die Musik macht, wegen der es sich lohnte, nach WestBerlin zu kommen, von der ein stumpfer Abschein auf OstBerlin überging, und durch eine Szene, die es nicht mehr gibt, deren Rudimente im Pflaster stecken, keiner weiß, wieviel Sprengkraft sie eines Tages— Genau! B-Movie heißt: WestBerlinMovie; Klang war Klirren, Bands und Projekte hießen Tödliche Doris, Ideal, Malaria!, Einstürzende Neubauten, Edgar Froeses Musik knarrte dahin, Punkfrisuren gab es, und strähnige Haare, Sex war noch nicht volldurchgegendert, volldemokratisiert und clean, und das hatte dunkle Seiten, Geheimnis und Rausch, Gefahr war gefährlich, nicht “Herausforderung”, es hatten noch nicht alle Therapien gemacht, und Betrunkenheit bedeutete nicht zwingend Mangel an Entzug, Blixa Bargeld war schon der Held von Nick Cave und noch ein Milchgesicht, das war gleichzeitig alles, nicht alle haben die Musik vergessen, und kann sein wir sollen das nicht alles so idealisieren, aber ja doch: für einen Augenblick Sehnsucht haben nach dem Augenblick, als Westberlin die Zone zwischen Bahnhof Zoo und Cuvrystraße war- Und am andern Tag geht P. in die Berlinische Galerie und schaut auf die Neubauten in Ost und West, die in den 60ern realisiert wurden, nicht realisiert, radikal modern, die heute abgerissen sind, noch stehn oder in denen die Mieten auf 14€/qm gestiegen sein sollen, das ist eine andere Geschichte? NO way, die führt in eine der wichtigsten Geschichten der 80er: Häuserkampf, womit, wenigstens im Kopf, ne sentimental journey ins alte Westberlin nicht ganz nostalgisch ändert- nein: endet muss es heißen, also das geht nicht versöhnlich aus, auch nicht in Polianders Kopf. (Undimmernochmal Ideal: Musik ist heiß, das Neonlicht strahlt, irgend jemand hat mir Gin bezahlt.)

Koordinaten: Xenon in Berlin-Schöneberg Kolonnenstraße, 52° 29′ N, 13° 21′ O, Ideal: BerlinBerlin, Website und Trailer B-Movie

Ausgrabung
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