Polianders Zeitreisen

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Gerechtigkeit für berühmte Männer

20.11.2014 · poliander

Kollege: Mich regt der Biermann nicht auf.
Poliander: Du hast halt nicht im Osten gelebt.
Kollege: Stimmt.
Poliander: Mannmann, vom strammen Kommunisten zum strammen Antikommunisten.
Kollege: Renegat halt.

Auch P. hat die “Drahtharfe” gelesen und unter der Hand weitergegeben, woher P. sie hatte, sagte P. nicht. Manche haben sie auch abgetippt oder von Hand kopiert. Dass es keine Kopierer gab, lag nicht daran, dass Papier knapp war – das wars freilich auch -, sondern, dass man darauf Poesie und Parolen hätte vervielfältigen können. P. hatte das Ohr am Miniradio, als das Kölner Konzert übertragen wurde, 1976. Berlin in den 1980er Jahren: Einer brachte immer “Chausseestraße 131” mit. Einer hatte immer ein Tonbandgerät dabei. Und eben Bänder. Schon damals redete Biermann zu viel zwischen den Liedern. Wir erkannten sein lehrerhaftes Gehabe als von Brecht abgeschaut. Dialektik war Machart, die zur Masche wurde. Aber niemand widersprach, denn: Es gibt ein Leben vor dem Tod. Und zu später Stunde legte immer einer Biermann auf.

Aber zu noch späterer Stunde legten wir Ernst Busch auf.

Busch schwang keine Volksreden, schon gar nicht auf Schallplatten. Busch erklärte nicht, belehrte nicht. Busch erinnerte uns daran, was war, was gewesen war, was aus der Sache hätte werden können. Hätte Werden Können. Zu so später Stunde tranken wir niemals Bier, sondern roten Wein und ließen Philosophieren, Pläne schmieden sein.

P. will nicht ungerecht sein. Aber wer liebt schon einen Renegaten? Aus Biermann, dem Wolf, ist Biermann, der Herr, geworden. P. erleichtert: Wir müssen nicht über Herren schreiben. Doch gänzlich unbeleidigt um Gerechtigkeit bemüht hat sich Gunnar Decker, in, was Herrn Biermann kaum freuen wird, der linken Tageszeitung, und der nennt den Herrn Biermann: Virtuose der Publikumsbeschimpfung. P. empfiehlts zum Lesen.

Ja, es mag schon sein, dass wir oft Biermann hörten. Aber zu späterer Stunde legten wir immer Ernst Busch auf.

Koordinaten: Bundestag: 52° 31′ 7” N, 13° 22′ 34” O. Ernst Busch im Kulturnetz-Berlin. Busch lebte bis zu seiner Emigration 1933 in der Bonner Straße 11 in der Künstlerkolonie Berlin Wilmersdorf, wo eine Tafel an ihn erinnert.

Erregung
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