Polianders Zeitreisen

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Allein im Juli am Meer

29.07.2014 · poliander

Das Busfahrrad

Das Busfahrrad

Im Juli ans Meer, zwei Tage nur, dahin einfach, wo ein Zimmer frei ist, zwei Stunden, sagen wir, von Hamburg aus gesehen, vier von Berlin. Dunkelgraue, dunkelrotbraune Ziegelstadt am Meer, und der Bus ist auch weg.

Wir treffen nacheinander ein, in diesem Sahlenburg, einen Ort, an dem vor 18.000 Jahren Jäger ihre Werkzeuge aus Feuerstein hinterließen. Schlickiger Strand, knallige Sonne, flotter Wind. Es riecht, wie es riechen muss, nach Salz und Jod, nach Jodsalz, sagen wir, und natürlich ist niemand allein an so einem Strand, im Juli.

Allein wär man aber immer gern, am Strand, auch im Juli. Statt dessen fahren Poliander und ich mit grünen Fahrrädern, die lang sind wie Busse, nur nicht so gelenkig. Fahrradbusse, sagt Poliander, Busfahrräder sage ich. Aber wir sind da, wo ein Zimmer frei war, und jetzt kommt die Sonne durch an diesem historischen Ort, wo Pferdewagen durchs Watt fahren, Da draußen, sagt einer, da is Hamburch, wir nicken verständig, jaja, das Inselchen im Watt gehört dazu. Wir fahrn nicht hin, sondern bleiben am Strand von Cuxhaven ein ereignisarmes Wochenende lang, an dem nichts so vielversprechend scheint wie die Langeweile kleiner Orte, wo man eine Luftpumpe nachkauft und den ersten Pflaumenkuchen des Jahres. Wo man sich die Ortsgeschichte erzählt, Cuxhaven also, das kommt von Kucks, letztlich von Koog wohl, sieht aber besser aus, das Wort, so mit C und mit X, und Cux soll heißen wie Koog: eingedeichtes Land. Deiche gibt’s hier viele. Urlauber mehr, und fährt man hinterm Deich, überholt man einen nach dem andern, Leute, die sonst wohl nie Rad fahren, also man muss sie überholen, mit dem Wind kommt die Lust am Überholen, wir überholen auch P., dann rollen wir langsam aus, Blick zum Meer. Durchs Bild fahren Schiffe.  Man könnte von der Welt abgeschnitten sein, doch da sind die Schiffe vor, und das Meer ist das, was verbindet.

Bakenmann

Bakenmann

Überhaupt strotzt hier alles vor Heimatgeschichte, die wie so oft auch (gerade) am Meer Militärgeschichte ist, hier die Geschichte eines Forts. Auch wir stehen und glotzen auf die Kugelbake, den Bakenmann, und es ist so herrlich diesig, das Licht streut über die Haut, und nur P. und ich denken an die wilden Männer im fernen Erfurt, die auch aus Holz sind, aber platt, ganz platt, und die nicht dem Schiffsverkehr dienen oder sonst einem Verkehr, sondern das Haus schützen, Schutzmänner sozusagen und gewissermaßen, wir schweifen ab und wieder zurück, denn ein Seezeichen (siehe links) ist natürlich auch ein Schutzmann. Gewissermaßen. Und niemand von allen, die auf den Bänken sitzen und auf die Bake schauen und auf die Schiffe und das Meer, und niemand außer uns liest, was auf der Stele steht: “Von dieser Stelle aus führte Jonathan Zenneck 1899 – 1900 seine ersten funktelegrafischen Versuche durch und schuf damit die Grundlagen zur Einführung des deutschen Seefunkdienstes.” Aha.

Ach, allein sein. Allein sein im Juli am Meer: Da muss eine früh aufstehn, mit dem schwerfälligen Rad zur Heide, laufen, laufen, und die Luft ist so schwer, beschleunigter Schritt, heiße Haut, wieder keine Naturlyrik. Das Meer schwimmt in sich selbst, schwimmt im Dunst. Und später, wenn dicke Regentropfen fallen und wir die Badesachen vergessen haben, und es egal ist, denn später sind wir wirklich allein am Strand, und der Regen macht das Meer nass von oben, wir schwimmen im Flachen, hier ist es weit hinaus flach, wir kehren im Flachen zurück, das Meer, das Meer, und dann die Sachen, die auf der nassen, sandbeklebten Haut kleben, der schwere, nasse Sand, dann sind wir doch nicht allein an dieser Badestelle, ein Kiosk ist auch da, wie es sich gehört, wie schön, nicht allein zu sein. Warum? “Ein Bier bitte!”

Koordinaten: 53° 52′ N, 8° 42′ O.

Reisebrief
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